MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Neoptolemos überlassen? Er hatte auch vielversprechende Söhne — aber sie hatten ehrgeizige Mütter. An wen konnte er sich wenden, auf wen konnte er sich verlassen? Wie konnte er mit den berühmten Römern fertig werden, die Hunderttausende von Soldaten besiegten?
Seine Wut wich Tränen. Der König weinte, bis seine Verzweiflung in Resignation überging, beides Stimmungen, die seinem Wesen eigentlich fremd waren. Er mußte einsehen, daß er die Römer nicht schlagen konnte. Und er konnte seinen Ehrgeiz erst befriedigen, wenn die Götter Pontos wieder wohlgesonnen waren und den großen Römern etwas anderes zu tun gaben, das näher bei Rom lag als Kappadokien. Er mußte den Tag abwarten, an dem gewöhnliche Römer gegen Pontos geschickt würden, dann würde er zuschlagen. Bis dahin mußte er seine Pläne für Kappadokien, Bithynien und Makedonien aufschieben. Er warf seinen Purpurmantel ab und erhob sich.
Gordios und Neoptolemos warteten in den vorderen Gemächern. Als der König im Durchgang erschien, der zu seinen privaten Räumen führte, sprangen beide Männer auf.
»Gebt den Befehl zum Aufbruch«, sagte der König knapp. »Wir kehren nach Pontos zurück. Sollen die Römer Ariobarzanes auf den Thron setzen! Ich bin jung, und ich habe Zeit. Ich warte, bis Rom in eine andere Angelegenheit verwickelt wird, dann marschiere ich nach Westen.«
»Und was wird aus mir?« jammerte Gordios.
Der König knabberte an seinem Zeigefinger und starrte Gordios unverwandt an. »Ich glaube, es ist Zeit, daß wir dich loswerden, Schwiegervater.« Er hob sein Kinn und brüllte: »Wache!«
Soldaten stürzten herein.
»Nehmt ihn fest und tötet ihn«, sagte der König und wies auf Gordios, der sich zusammenkrümmte. Dann wandte er sich an den bleichen und zitternden Neoptolemos: «Worauf wartest du noch? Gib den Befehl zum Aufbruch! Sofort!«
»Na also!« sagte Sulla zu seinem Sohn. »Er zieht ab.«
Sie standen auf dem Wachturm beim Haupttor, von dem aus das Lager des Mithridates zu überblicken war.
Der junge Sulla empfand eine Mischung aus Bedauern und Freude, aber die Freude überwog. »So ist es besser, Vater, nicht wahr?«
»Ich glaube schon, so wie die Dinge stehen.«
»Wir hätten ihn nicht schlagen können, stimmt’s?«
»Natürlich hätten wir ihn schlagen können!« sagte Sulla im Brustton der Überzeugung. »Hätte ich meinen Sohn auf einen Feldzug mitgenommen, wenn ich nicht sicher gewesen wäre, daß ich gewinne? Er hat nur einen einzigen Grund für seinen Abzug:
Er weiß, daß wir ihn besiegt hätten. Unser Mithridates mag zwar ein Hinterwäldler sein, aber er ist durchaus fähig zu erkennen, wann er es mit einer überlegenen Militärmacht und mit besseren Männern zu tun hat, auch wenn er sie zum ersten Mal zu sehen bekommt. Es war unser Vorteil, daß er in einem so abgeschiedenen Winkel der Welt lebt. Die Herrscher hier im Osten kennen nur ein Vorbild: Alexander den Großen. Und dieses Vorbild ist nach römischem Maßstab hoffnungslos veraltet.«
»Was für ein Mensch ist der König von Pontos?« fragte der Junge neugierig.
»Hm.« Sulla dachte einen Moment lang nach. »Das ist wirklich eine gute Frage. Er ist sehr unsicher und deshalb leicht zu manipulieren. Auf dem Forum wäre er bestimmt keine imponierende Erscheinung, aber das könnte sein, weil er ein Ausländer ist. Wie jeder Tyrann ist er gewohnt, seinen Kopf durchzusetzen — jeder Säugling in der Wiege verhält sich so. Wenn ich seinen Charakter in einem Wort zusammenfassen müßte, würde ich ihn als einen Bauerntölpel bezeichnen. Aber er ist König vieler Länder, und er ist gefährlich. Er ist freilich auch lernfähig. Es ist gut, daß er nicht wie Jugurtha schon im frühen Alter mit Rom und den Römern in Verbindung kam — oder Hannibals Bildung erwerben konnte. Bis er Gaius Marius und mich kennenlernte, war er sich selbst genug. Jetzt ist das nicht mehr so. Und das kann Freund Mithridates natürlich nicht ertragen! Ich weiß schon jetzt, daß er versuchen wird, uns in unserem eigenen Spiel zu schlagen. Er ist sehr stolz. Und sehr eingebildet. Er wird keine Ruhe geben, bis er sich nicht mit Rom gemessen hat. Aber das wird er erst riskieren, wenn er absolut sicher ist, daß er gewinnen kann. Heute war er nicht sicher. Aus seiner Sicht war der Rückzug eine kluge Entscheidung, mein Sohn! Ich hätte ihn und seine Armee vernichtet.«
Der junge Sulla sah seinen Vater fasziniert an. Er staunte über dessen Selbstvertrauen. Sein Vater war
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