MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Syrien, er gehört weder den Seleukiden noch einem anderen syrischen Stamm an. König Ariobarzanes ist Kappadokier und wurde von seinem Volk anstelle deines Sohnes Ariarathes Eusebes eingesetzt.«
Mithridates erschrak. Gordios hatte ihm nie erzählt, daß Marius herausgefunden hatte, wer König Ariarathes Eusebes war. Sullas Feststellung schien ihm deshalb ein Zeichen übernatürlichen Wissens, ein weiterer Beweis, daß er den römischen Apoll vor sich hatte.
»König Ariarathes Eusebes ist tot; er starb während des Überfalls der Armenier«, sagte Mithridates. Er sprach noch immer mit kleiner, schwacher Stimme. »Die Kappadokier haben jetzt einen kappadokischen König. Er heißt Gordios. Ich bin hier, um zu garantieren, daß er König bleibt.«
»Gordios ist dein Schützling, König Mithridates, denn er ist dein Schwiegervater, und seine Tochter ist Königin von Pontos«, sagte Sulla gleichmütig. »Gordios wurde nicht von den Kappadokiern zum König gewählt. Er wurde von dir und durch die Vermittlung deines Schwiegersohnes Tigranes ausgesucht.
Ariobarzanes ist der rechtmäßige König.«
Also auch das wußte dieser Römer! Wer war dieser Lucius Cornelius Sulla, wenn nicht Apollo? »Ariobarzanes hat keinen Anspruch auf den Thron!«
»Der Senat und das Volk von Rom sind anderer Ansicht!« erklärte Sulla. Er spürte, daß er die Oberhand gewann. »Ich habe den Auftrag vom Senat und vom römischen Volk, König Ariobarzanes zu dem Thron zu verhelfen, der ihm rechtmäßig zusteht, und dafür zu sorgen, daß Pontos — und Armenien — aus Kappadokien verschwinden.«
»Diese Angelegenheit geht Rom nichts an!« rief der König, dessen Mut in dem Maß wuchs, wie seine Geduld zu Ende ging.
»Alles auf der Welt geht Rom etwas an!« stellte Sulla fest. Er spürte, daß die Zeit reif war für den entscheidenden Schlag. »Kehre nach Hause zurück, König Mithridates!«
»Kappadokien ist ebenso mein Zuhause wie Pontos!«
»Nein. Kehre nach Pontos zurück.«
»Willst du mich mit deinem lächerlich kleinen Heer dazu zwingen?« zischte der König. Er war jetzt wirklich wütend. »Sieh mal dort hinüber, Lucius Cornelius Sulla! Dort stehen hunderttausend Mann!«
»Hunderttausend Barbaren«, sagte Sulla verächtlich. »Ich werde sie alle vernichten.«
»Ich werde kämpfen! Ich warne dich! Ich werde kämpfen!«
Sulla wandte sich ab, um ins Lager zurückzukehren. Über die Schulter sagte er: »Höre auf mit dem Gejammer und kehre nach Hause zurück!« Am Tor drehte er sich noch einmal um und rief laut: »Zurück nach Pontos, König Mithridates! In genau acht Tagen werde ich nach Eusebeia Mazaka marschieren und König Ariobarzanes wieder einsetzen. Wenn du mich daran hinderst, werde ich dein Heer vernichten und dich töten. Du kannst mich nicht aufhalten, selbst wenn dein Heer doppelt so groß wäre!«
»Du hast ja nicht einmal römische Soldaten!« brüllte der König.
Sulla lächelte grimmig. »Meine Soldaten sind römisch genug«, sagte er. »Sie wurden von einem Römer ausgerüstet und ausgebildet — und sie werden wie echte Römer kämpfen, das versichere ich dir. Kehre nach Hause zurück!«
Der König stürmte in sein königliches Zelt. Er war so wütend, daß ihn niemand anzusprechen wagte, nicht einmal Neoptolemos. Mithridates eilte in sein privates Gemach im hinteren Teil des Zeltes, setzte sich auf seinen königlichen Stuhl und zog seinen purpurroten Mantel über den Kopf. Nein, Sulla war nicht Apollo! Er war nur ein gewöhnlicher Römer. Aber was für Menschen waren die Römer, wenn sie wie Apollo aussahen? Oder, wie Gaius Marius, so groß und majestätisch, daß niemand an ihrer Macht und Herrschergewalt zweifelte? Der König hatte in der Provinz Asia Römer gesehen und einmal aus der Entfernung sogar den Statthalter. Sie waren ihm als zwar arrogante, aber doch gewöhnliche Menschen erschienen. Persönlich kennengelernt hatte er freilich nur zwei Römer, Gaius Marius und Lucius Cornelius Sulla. Wie waren die Römer nun wirklich? Wie die Römer in der Provinz Asia, sagte ihm sein gesunder Menschenverstand. Wie Marius und Sulla, sagte ihm sein Gefühl. Er war schließlich selbst ein großer König, der seine Abstammung auf Herakles und auf Darius von Persien zurückführen konnte. Deshalb mußten auch seine Feinde große Männer sein.
Warum konnte er sein Heer nicht selbst befehligen? Warum verstand er nichts von Kriegsführung? Warum mußte er diese Aufgabe Männern wie seinen Vettern Archelaos und
Weitere Kostenlose Bücher