MoR 02 - Eine Krone aus Gras
mächtigen Strom, der zwischen felsige Ufer eingezwängt war. Er war nicht so breit wie die untere Rhône, aber er floß viel schneller. Sulla betrachtete ihn nachdenklich. Er staunte über die Farbe des Wassers, ein gespenstisch-milchiges Blaugrün. Er drückte seinen Sohn an sich, für den er immer stärkere Liebe empfand. Ein vollkommener Begleiter!
»Können wir den Fluß überqueren?« fragte er Morsimos.
Aber der Kiliker aus Tarsos wußte auch nicht mehr als er selbst und schüttelte nur zweifelnd den Kopf. »Vielleicht später im Jahr, wenn die Schneeschmelze im Gebirge vorbei ist — wenn das je der Fall ist, Lucius Cornelius. Die Einheimischen behaupten, der Euphrat sei tiefer, als er breit ist. Wenn das stimmt, muß er der mächtigste Fluß der Welt sein.«
»Gibt es keine Brücken?« fragte Sulla gereizt.
»Hier am Oberlauf nicht. Hier eine Brücke zu bauen, erfordert bessere Pionierkenntnisse, als irgend jemand in diesem Teil der Welt hat. Ich weiß, daß Alexander der Große eine Brücke bauen ließ, aber viel weiter flußabwärts und später im Jahr.«
»Dazu braucht man Römer.«
»Richtig.«
Sulla seufzte und zuckte die Schultern. »Ich habe aber keine Pioniere im Heer, und ich habe auch keine Zeit. Wohin wir auch gehen, wir müssen zurück sein, bevor der Schnee die Pässe wieder verschließt und uns den Rückweg abschneidet. Obwohl ich glaube, daß wir wahrscheinlich durch Nordsyrien und das Amanos- Gebirge zurückmarschieren werden.«
»Wohin marschieren wir eigentlich, Vater? Du hast doch jetzt den Euphrat gesehen!« Der junge Sulla lächelte.
»Ich habe noch lange nicht genug vom Euphrat gesehen!« sagte Sulla. »Deshalb marschieren wir jetzt an seinem Ufer entlang nach Süden, bis wir eine Möglichkeit finden, über den Fluß zu setzen.«
Bei Samosata war die Strömung noch immer zu stark. Die Einwohner boten Sulla an, das Heer in flachen Flußschiffen überzusetzen. Sulla inspizierte die Boote und lehnte das Angebot dann ab.
»Wir marschieren weiter nach Süden«, befahl er.
Er erfuhr, daß die nächste Furt bei Zeugma sei, jenseits der syrischen Grenze.
»Ist es in Syrien jetzt ruhig, nachdem Grypos tot ist und Kyzikenos allein regiert?« fragte Sulla einen Einheimischen, der Griechisch sprach.
»Ich weiß es nicht, römischer Herr.«
Doch als das Heer wieder abmarschbereit war, beruhigte sich der Fluß plötzlich. Sulla traf sofort eine Entscheidung.
»Wir setzen hier mit Booten über, solange es möglich ist«, sagte er.
Als sich das Heer auf der anderen Seite befand, atmete er auf. Aber er hatte gemerkt, daß sich seine Soldaten zu fürchten begannen — als hätten sie soeben einen metaphorischen Styx überschritten und als marschierten sie jetzt durch die Unterwelt. Er rief seine Offiziere und sagte ihnen, wie sie ihre Männer zu motivieren hätten. Der junge Sulla war ebenfalls anwesend.
»Wir sind noch nicht auf dem Heimweg«, erklärte Sulla. »Die Männer müssen sich damit abfinden und das Beste aus der Situation machen. Ich bezweifle, daß es im Umkreis von mehreren hundert Meilen eine Armee gibt, die uns schlagen kann — wenn es überhaupt eine gibt. Sagt den Soldaten, daß Lucius Cornelius Sulla sie anführt und daß Sulla ein weit besserer Feldherr ist als Tigranes oder der Parther Surenas. Sagt ihnen auch, daß wir das erste römische Heer sind, das sich östlich des Euphrat befindet. Das allein ist schon ein Schutz für uns.«
Da der Sommer bevorstand, wollte Sulla nicht in die syrische oder mesopotamische Ebene hinabsteigen. Hitze und Eintönigkeit würden die Soldaten schneller demoralisieren als der Marsch in ein unbekanntes Land. Deshalb wandte er sich von Samosata wieder nach Osten und zog in Richtung der Stadt Amida am Tigris. Dort verlief die Grenze zwischen Armenien im Norden und dem Königreich der Parther im Süden und Osten, aber Grenzwachen oder Truppen gab es nicht. Sullas Heer wälzte sich durch rote Mohnblumenfelder. Die Soldaten gingen sparsam mit ihren Vorräten um, denn obwohl das Land stellenweise bebaut wurde, hatte die einheimische Bevölkerung offenbar nicht viel zu verkaufen.
In dieser Gegend lagen eine Reihe kleinerer Königreiche, Sophene, Gordyene, Osroene und Kommagene, die von riesigen, schneebedeckten Bergen überragt wurden. Das Heer kam jedoch gut voran, da es nicht durch das Gebirge ziehen mußte. In Amida, einer von schwarzen Mauern umgebenen Stadt am Ufer des Tigris, traf Sulla die Könige von Kommagene und Osroene. Sie
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