MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Gesandtschaft erzählte.
Der Junge war fast neun Jahre alt. Und, wie Sulla bemerkte, schöner als je zuvor. Sulla konnte kaum die Augen von seinem schönen Gesicht abwenden. Ganz wie der junge Sulla! Und doch ganz anders. Der junge Caesar war inzwischen aus dem Fragealter herausgewachsen und zu einem Zuhörer geworden. An Aurelia gelehnt, saß er mit glänzenden Augen und offenem Mund da. Sein Gesicht war ein ständig wechselndes Panorama, in dem sich seine Gedanken widerspiegelten, während sein Körper völlig unbeweglich blieb.
Als Sulla seine Erzählung beendet hatte, stellte der kleine Caesar viele Fragen. Er fragte intelligenter als Scaurus, gebildeter als Marius, interessierter als beide zusammen. Woher wußte er das alles? fragte sich Sulla. Er ertappte sich dabei, daß er mit dem Achtjährigen auf derselben Ebene sprach, auf der er mit Scaurus und Marius gesprochen hatte.
»Was, glaubst du, wird jetzt passieren?« fragte Sulla, nicht aus Überheblichkeit, sondern weil ihn das Gespräch reizte.
»Krieg mit Mithridates und Tigranes«, sagte der junge Caesar.
»Nicht mit den Parthern?«
»Höchstens später. Wenn wir einen Krieg gegen Mithridates und Tigranes gewinnen, fallen Pontos und Armenien in unseren Einflußbereich. Dann werden die Parther sich wegen Rom Sorgen machen, wie es jetzt Mithridates und Tigranes tun.«
Sulla nickte. »Du hast recht, junger Caesar.«
Sie unterhielten sich noch eine Stunde lang, dann erhob sich Sulla und fuhr dem Jungen durch die Haare. Aurelia begleitete ihn zur Tür. Dem in der Nähe lauernden Eutychus gab sie ein kleines Zeichen, auf das er begann, die Kinder ins Bett zu bringen.
»Wie geht es zu Hause?« fragte Aurelia. Sulla öffnete die Tür, die auf den Vicus Patricius führte, auf dem es noch immer von Menschen wimmelte, obwohl es schon lange dunkel war.
»Der kleine Sulla hat eine schlimme Erkältung, und Cornelia Sulla hat ein wundes Gesicht«, sagte Sulla unbewegt.
»Dein Sohn ist also krank. Aber was ist deiner Tochter zugestoßen?«
»Ich habe sie verprügelt.«
»So! Und für welches Verbrechen, Lucius Cornelius?«
»Wie es scheint, haben sie und der junge Marius beschlossen, später zu heiraten. Aber ich habe sie gerade dem Sohn des Quintus Pompeius Rufus versprochen. Sie wollte ihre Unabhängigkeit dadurch beweisen, daß sie sich zu Tode hungerte.«
»Beim Kastor! Vermutlich wußte das arme Mädchen gar nichts davon, daß ihre Mutter einen ähnlichen Versuch unternahm?«
»Nein.«
»Aber jetzt weiß sie es.«
»Sie weiß es.«
»Nun, ich kenne den jungen Mann nur flüchtig, aber ich bin sicher, daß sie mit ihm viel glücklicher werden wird als mit dem jungen Marius!«
Sulla lachte. »Genau das denke ich auch.«
»Und wie denkt Gaius Marius darüber?«
»Oh, er wollte die Heirat auch nicht.« Sullas Oberlippe kräuselte sich, seine Zähne wurden sichtbar. »Er will Scaevolas Tochter für seinen Sohn.«
»Er wird sie ohne große Schwierigkeiten bekommen — Ave, Turpillia.« Aurelia grüßte ein altes Weib, das gerade vorbeikam und stehenblieb, als wolle sie mit Aurelia sprechen.
Sulla verabschiedete sich. Aurelia lehnte sich an den Türrahmen und hörte aufmerksam zu, als Turpillia zu reden begann.
Sulla fürchtete sich nicht davor, nach Einbruch der Dunkelheit durch die Subura zu gehen, und auch Aurelia machte sich weiter keine Gedanken, als er allein in der Nacht verschwand. Niemand belästigte Lucius Cornelius Sulla. Sobald er die Subura betrat, fiel er in sein früheres Leben zurück. Wenn Aurelia überhaupt etwas an seinem Verhalten auffallen konnte, dann war es die Tatsache, daß er den Vicus Patricius hinaufging, statt ihn zum Forum Rom- anum und zum Palatin hinunterzugehen.
Sulla wollte Censorinus aufsuchen, der auf dem oberen Vimmal wohnte. Es war eine respektable Wohngegend für Ritter, freilich bei weitem nicht respektabel genug für jemanden, der ein Monokel aus einem Smaragd sein eigen nannte.
Zuerst schien es, als wolle Censorinus’ Diener Sulla den Zutritt verweigern, aber damit wurde er leicht fertig. Er setzte einfach eine unangenehme Miene auf, woraufhin irgendwo im Gehim des Dieners eine Alarmglocke zu läuten begann — und so stark läutete, daß er automatisch die Tür weit aufriß. Sulla schritt durch die enge Vorhalle, die von der Haustür zum Empfangszimmer der im Erdgeschoß einer Insula gelegenen Wohnung führte. Noch immer lag das unangenehme Lächeln auf seinem Gesicht. Nun stand er im Empfangsraum und
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