Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
Vom Netzwerk:
und bewundernswert vernünftig. Als er seine verkrampften Muskeln gelockert hatte, half er den Ärzten, den Jungen zu waschen und ihm die purpurgesäumte Kindertoga anzulegen. Im Dezember dieses Jahres, am Fest der Juventas, wäre sein Sohn ein Mann geworden. Sulla hob die schlaffe, graue Gestalt hoch, damit die weinenden Sklaven das Bettzeug wechseln konnten, hielt ihn in seinen Armen und legte ihn dann wieder auf frische, saubere Bettücher. Er bettete die Arme des Jungen neben seinen Körper, legte ihm Münzen auf die Augenlider, damit sie geschlossen blieben, und schob ihm eine Münze zwischen die Lippen — als Lohn für Charon auf seiner letzten, einsamen Reise.
    Auch Aelia hatte sich während all dieser furchtbaren Stunden nicht von der Tür wegbewegt. Jetzt legte Sulla ihr den Arm um die Schultern und führte sie zu einem Stuhl neben dem Bett, so daß sie den Jungen betrachten konnte, den sie seit seiner Kindheit aufgezogen hatte, als sei er ihr eigenes Kind. Cornelia Sulla kam herein, das Gesicht immer noch geschwollen, und hinter ihr kamen Julia, Gaius Marius und Aurelia.
    Sulla begrüßte sie, ohne eine Bewegung zu zeigen, nahm ihr tränenreiches Beileid entgegen, lächelte sogar ein wenig und antwortete auf ihre Fragen mit kräftiger, klarer Stimme.
    »Ich muß baden und mich umziehen«, sagte er dann. »Heute findet die Gerichtsverhandlung gegen mich statt. Aufgrund des Todes meines Sohnes habe ich zwar das Recht fernzubleiben, aber diese Genugtuung will ich Censorinus nicht geben. Gaius Marius, begleitest du mich, sobald ich bereit bin?«
    »Gerne, Lucius Cornelius«, brummte Marius und wischte sich die Tränen aus den Augen. Nie hatte er Sulla mehr bewundert.
    Doch zuerst ging Sulla in die bescheidene Latrine seines Hauses; niemand war darin, weder ein Sklave noch ein Freier. Endlich entleerte sich sein Darm. Er saß allein in dem Raum mit den vier geformten Sitzen auf der Marmorbank und lauschte dem tiefen Geräusch des darunter hindurchrauschenden Wassers. Seine Hände fingerten in den ungeordneten Falten seiner Toga; er hatte nicht daran gedacht, die Toga abzulegen, bevor er sich zur letzten Wache auf das Bett seines Sohnes setzte. Seine Finger fanden einen Gegenstand; verwundert zog er ihn heraus und betrachtete ihn im heller werdenden frühen Tageslicht. Wie aus weiter Entfernung kam die Erinnerung, als gehöre sie in ein anderes Leben. Das Monokel aus Smaragd des Censorinus! Als Sulla fertig war und sich gesäubert hatte, drehte er sich noch einmal zu der Marmorbank um und ließ den kostbaren Stein nach unten fallen. Das Geräusch des Wassers war so laut, daß der Aufschlag nicht zu hören war.
    Als Sulla im Atrium erschien, wo Gaius Marius wartete, um ihn zum Forum Romanum zu begleiten, sahen ihn alle überrascht an. Eine fremde Macht schien ihm seine Jugend wiedergegeben zu haben, und er schien frisch und ausgeruht.
    Schweigend ging er mit Gaius Marius zum Lacus Curtius, wo mehrere hundert Ritter ihre Dienste als Geschworene in Sullas Prozeß anboten. Die Gerichtsbeamten bereiteten die Krüge vor, aus denen die Lose gezogen wurden. Einundachtzig Geschworene würden ausgelost werden, aber fünfzehn von ihnen würden auf Verlangen der Anklage und weitere fünfzehn auf Verlangen der Verteidigung wieder aussortiert werden, so daß einundfünfzig übrigblieben — sechsundzwanzig Ritter und fünfundzwanzig Senatoren. Die Ritter durften einen Geschworenen mehr stellen als der Senat: Das war der Preis gewesen, den der Senat für die Rückgewinnung des Gerichtsvorsitzes hatte zahlen müssen.
    Die Zeit verging. Die Geschworenen wurden ausgelost, aber da Censorinus noch nicht erschienen war, erlaubte man zunächst der Verteidigung, die von Crassus Orator und Scaevola geführt wurde, fünfzehn Geschworene abzulehnen. Noch immer war Censorinus nicht erschienen, und das Gericht wurde immer unruhiger. Inzwischen hatte sich auch herumgesprochen, daß Sulla vom Totenbett seines einzigen Sohnes zur Verhandlung gekommen war. Um die Mittagszeit sandte der Gerichtsvorsitzende einen Boten zu Censorinus’ Haus, um festzustellen, warum er nicht erschienen war. Nach langer Wartezeit kam der Bote mit der Nachricht zurück, Censorinus habe all seine bewegliche Habe eingepackt und sein Haus mit unbekanntem Ziel in Richtung Ausland verlassen.
    »Das Gericht ist damit aufgehoben«, erklärte der Vorsitzende. »Lucius Cornelius Sulla, wir bitten dich um Entschuldigung und entbieten dir unser Beileid.«
    »Ich begleite

Weitere Kostenlose Bücher