MoR 02 - Eine Krone aus Gras
beiseite und trat mit freundlichem und ruhigem Gesicht neben das Bett.
»Was soll das, Sohn? Du jagst allen Leuten einen Schrecken ein!«
»Vater!« rief der junge Sulla und lächelte.
»Was fehlt dir denn?«
»So kalt, Vater! Macht es dir etwas aus, wenn ich dich vor den Fremden tata nenne?«
»Natürlich nicht.«
»Die Schmerzen sind furchtbar!«
»Wo schmerzt es denn, mein Sohn?«
»Hier in der Brust, tata. So kalt!«
Der Junge atmete flach und laut, und offenbar bereitete das Atmen ihm Schmerzen. Sulla kam es wie eine Parodie auf die Todesszene des Metellus Numidicus Schweinebacke vor; vielleicht war das der Grund, warum er nicht glaubte, einer Todesszene beizuwohnen. Und doch sah der junge Sulla aus, als ob er sterben müsse. Unmöglich!
»Sprich nicht, mein Sohn. Kannst du dich hinlegen?« Die Ärzte hatten ihn aufrecht gesetzt.
»Ich kann nicht atmen, wenn ich liege.« Die Augen sahen aus, als seien sie blaugeschlagen worden; sie sahen ihn mitleiderregend an. »Tata, bitte geh nicht weg!«
»Ich bleibe bei dir, Lucius. Keinen Augenblick verlasse ich dich.«
Aber sobald Sulla konnte, zog er Apollodorus Siculus außer Hörweite und fragte ihn, wie es um seinen Sohn stehe.
»Eine Lungenentzündung, Lucius Cornelius. Das ist in jedem Fall eine ernste Krankheit, aber im Fall deines Sohnes ist sie noch ernster.«
»Warum das?«
»Das Herz ist angegriffen, fürchte ich. Wir wissen nicht genau, wie wichtig das Herz ist, aber wir glauben, daß es die Leber unterstützt. Die Lungen des jungen Lucius Cornelius sind geschwollen, und es ist Flüssigkeit aus den Lungen in das Gewebe gelangt, das das Herz umgibt. Das Herz wird dadurch eingeklemmt.« Apollodorus Siculus sah verängstigt aus; bei solchen Gelegenheiten zahlte er den Preis für seinen Ruhm — wenn er einem hochstehenden Römer mitteilen mußte, daß der Patient durch ärztliche Kunst nicht mehr zu retten war. »Die Prognose ist ernst, Lucius Cornelius. Ich fürchte, daß weder ich noch andere Ärzte etwas tun können.«
Sulla zeigte keine übermäßige Erregung. Einen vernünftigen Moment lang verstand er, daß der Arzt aufrichtig gewesen war — und dieser Arzt würde helfen, wenn er könnte. Er war ein guter Arzt, obwohl die meisten Quacksalber waren; man brauchte sich nur zu erinnern, wie er Schweinebacke nach dessen Tod untersucht hatte. Und jeder menschliche Körper war Stürmen von solcher Gewalt ausgesetzt, daß die Ärzte hilflos waren — trotz ihrer Lanzetten, Klistiere, Umschläge, Arzneien und Heilkräuter. Entscheidend war das Glück. Und Sulla erkannte, daß sein gelieber Sohn kein Glück hatte. Die Göttin Fortuna kümmerte sich nicht um ihn.
Er trat wieder an das Bett, schob die Kissen beiseite, setzte sich neben seinen Sohn und nahm ihn in die Arme. »Oh, tata, so ist es besser! Geh nicht weg!«
»Ich gehe nicht weg, mein Sohn. Ich liebe dich mehr als alles in der Welt.«
Viele Stunden lang saß Sulla auf dem Bett seines Sohnes und hielt ihn in den Armen. Seine Wange lag auf dem nun stumpfen, feuchten Haar. Er hörte das mühsame Atmen, das Röcheln, das auf erbarmungslose Schmerzen hinwies. Der Junge wollte nicht mehr husten, denn die Schmerzen waren unerträglich geworden. Er wollte auch nicht mehr trinken, denn seine Lippen waren von Fieberblasen bedeckt und seine Zunge war belegt und schwarz. Von Zeit zu Zeit redete er mit schwächer werdender Stimme, immer mit seinem Vater. Zuletzt murmelte er nur noch, die Wörter wurden immer undeutlicher, immer unzusammenhängender, bis er ohne Verstand und Vernunft in eine Welt hineinwanderte, die zu fremd war, um sie verstehen zu können.
Dreißig Stunden später starb er in den Armen seines Vaters. Sulla hatte sich nur bewegt, wenn der Junge danach verlangte. Er hatte weder gegessen oder getrunken, hatte weder Blase noch Darm erleichtert, doch war er nicht erschöpft, so wichtig war es ihm gewesen, für seinen Sohn dazusein. Vielleicht wäre es ein Trost für den Vater gewesen, wenn sein Sohn ihn vor seinem Tod noch einmal erkannt hätte. Aber der Sohn hatte die Arme längst verlassen, in denen sein Körper lag, und er starb, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben.
Alle fürchteten sich vor Lucius Cornelius Sulla. Atemlos vor Angst lösten vier Ärzte Sullas Arme von der leblosen Hülle seines Sohnes, halfen ihm auf die Füße und stützten ihn und legten den Jungen auf das Bett. Aber Sulla sagte oder tat nichts, was ihre Furcht vergrößert hätte, er benahm sich seltsam
Weitere Kostenlose Bücher