MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Er dachte allerdings auch praktisch und vernünftig, und eines Tages hatte Aurelia ihn zu seiner Frau Rutilia sagen hören:
»Leider halten diese Kinder nicht immer, was sie anfangs versprechen. Entweder lodert die so früh entzündete Flamme zu hell auf und geht dann genauso schnell wieder aus, so daß die Kinder erloschenen Vulkanen gleichen. Oder sie werden eingebildet und altklug, wiegen sich in falscher Selbstsicherheit und fallen über kurz oder lang auf die Nase. Aber ein paar davon erweisen sich als sehr nützlich. Und dann sind sie unbezahlbar. Deshalb bin ich immer bereit, den Eltern zu helfen.«
Was Cotta und Aurelias Mutter Rutilia von ihrem außerordentlich begabten Enkelkind, dem kleinen Caesar, hielten, wußte Aurelia nicht, denn sie hatte ihnen nichts von seiner frühreifen Begabung erzählt und den Jungen von ihnen ferngehalten. Sie versuchte sogar, das Kind von jedermann fernzuhalten. Einerseits war sie von seinen klugen Gedanken fasziniert und träumte von einer goldenen Zukunft für ihn. Andererseits, und dieses Gefühl überwog, machte sie sich schwere Sorgen. Hätte sie seine Fehler und Schwächen gekannt, sie wäre leichter mit ihm fertiggeworden, aber wie kann jemand die angeborenen Charakterfehler eines noch nicht zweijährigen Kindes erkennen, auch wenn dieser Jemand die Mutter ist? Bevor sie ihn anderen zeigte, um deren Neugier zu befriedigen, wollte sie sich selbst ein sichereres Urteil über ihn bilden und ihn besser kennen. Und in ihrem Hinterkopf lauerte immer die Angst, er werde nicht die notwendige Stärke und innere Unabhängigkeit aufbringen, um mit den Eigenschaften fertigzuwerden, mit denen eine Laune der Natur ihn ausgestattet hatte.
Er war empfindsam, das wußte sie, es war leicht, ihn zu verletzen. Aber er erholte sich immer wieder, wie besessen von einer fremdartigen und deshalb unverständlichen Lebensfreude, die Aurelia nie selbst erfahren hatte. Seine Begeisterungsfähigkeit kannte keine Grenzen, und er hungerte so nach geistiger Nahrung, daß er Wissen in sich hineinschluckte wie ein großer Fisch die anderen Tiere des Meeres. Was sie am meisten beunruhigte, war seine Zutraulichkeit, sein Eifer, sich mit jedermann anzufreunden, und seine Ungeduld, wenn seine Mutter etwas sorgfältig überdachte, bevor sie es in die Tat umsetzte. Er dachte ganz naiv, die Welt sei allein dazu geschaffen, seinen Zwecken zu dienen, und verstand nicht, daß es auch Menschen gab, die sich ihm entgegenstellten.
Freilich — wie lächerlich waren solche Sorgen wegen eines kleinen Kindes, das fast noch ein Säugling war! Er mochte frühreife Gedanken haben, aber diese waren deshalb noch lange nicht von der entsprechenden Erfahrung begleitet. Bis jetzt war der Junge einfach ein Schwamm, der alles aufsaugte, was er aufsaugen konnte, und was dazu nicht geeignet war, bearbeitete er solange, bis er es sich gleichfalls einverleibte. Er hatte seine Fehler und Schwächen, aber Aurelia wußte nicht, ob sie von Dauer oder nur Etappen eines gewaltigen Lernprozesses waren. So hatte er zum Beispiel viel Charme, und er wußte das und setzte ihn spielerisch ein, um sich die Menschen gefügig zu machen. Seine Tante Julia fiel besonders leicht darauf herein.
Aurelia wollte keinen Jungen großziehen, der sich so zwielichtiger Methoden bediente wie seines Charmes. Sie selbst hatte keinerlei Charme und verachtete Menschen, die welchen hatten, denn sie hatte erlebt, wie leicht sie bekamen, was sie wollten, und wie wenig ihnen dann wert war, was sie bekommen hatten. Charme war etwas für Luftikusse, nicht für Männer, die andere Menschen führten. Der kleine Caesar würde ihn ablegen müssen, denn er würde ihm nichts nützen bei ernsten und tugendhaften Männern und dort, wo nur Ernst und die römischen Tugenden etwas zählten. Außerdem war der kleine Caesar ein sehr hübsches Kind — noch eine unerwünschte Eigenschaft. Aber wie konnte man Schönheit aus einem Gesicht bügeln, zumal, wenn die Eltern beide auch nicht gerade häßlich waren?
Nur die Zeit konnte diese Sorgen beantworten, und inzwischen hatte Aurelia sich angewöhnt, streng mit dem Kleinen zu sein. Sie ließ ihm viel weniger durchgehen als seinen Schwestern, rieb Salz in seine Wunden, statt Balsam aufzutragen, und kritisierte und schimpfte ihn auch bei geringfügigen Anlässen. Da fast alle anderen Menschen, die der Junge kannte, ganz hingerissen von ihm waren und seine Schwestern und Vettern ihn regelrecht verwöhnten, hatte die Mutter das
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