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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Gefühl, ihm gegenüber die Rolle der bösen Stiefmutter spielen zu müssen, auch wenn sie seine richtige Mutter war. Cornelia, die Mutter der Gracchen, hätte nicht gezögert, dasselbe zu tun.

Die Aufgabe, für ein Kind, das eigentlich noch ein paar Jahre in die Obhut von Frauen gehörte, einen passenden Erzieher zu finden, schreckte Aurelia nicht, sondern war ihr eine willkommene Herausforderung. Sullas Frau Aelia hatte heftig davon abgeraten, einen Sklaven zu kaufen, und das erschwerte die Suche. Da Aurelia ihre Schwägerin Claudia, die Frau Sextus Caesars, nicht besonders mochte, fragte sie Claudia nicht um Rat. Wenn Julias Sohn in der Obhut eines Erziehers gewesen wäre, hätte sie gewiß Julia gefragt, aber der junge Marius, ein Einzelkind, besuchte die Schule, damit er mit Gleichaltrigen zusammensein konnte. Das hatte Aurelia zu gegebener Zeit eigentlich auch mit ihrem Sohn vorgehabt, aber nun wurde ihr klar, daß diese Möglichkeit nicht in Frage kam. Er würde entweder zum Prügelknaben oder zum Idol werden, und beides würde ihm nicht guttun.
    Also ging Aurelia zu ihrer Mutter Rutilia und dem einzigen Bruder ihrer Mutter, Publius Rutilius Rufus. Onkel Publius hatte ihr schon oft geholfen, sogar bei ihrer Heirat: Als die Liste ihrer Freier bedrohlich lang und immer vornehmer geworden war, hatte er geraten, man solle ihr erlauben, sich selbst einen Mann auszusuchen. Auf diese Weise, hatte er erklärt, könne außer ihr niemand verantwortlich gemacht werden, wenn es der falsche Mann sei, und vielleicht könnten spätere Reibereien mit ihren jüngeren Brü dern verhindert werden.
    Aurelia brachte ihre drei Kinder also nach oben ins jüdische Stockwerk des überfüllten und lärmenden Hauses, wo sie sich am wohlsten fühlten, und ließ sich mit Cardixa, ihrer gallischen Sklavin aus dem Avernerland, in einer Sänfte zum Haus des Stiefvaters tragen. Wenn sie Cottas Haus auf dem Palatin später wieder verließ, würden Lucius Decumius und ein paar seiner Männer für sie bereitstehen, denn dann würde es schon Nacht sein, und das zwielichtige Gesindel der Subura würde die Straßen unsicher machen.
    Aurelia hatte die ungewöhnlichen Talente ihres Sohnes so erfolgreich geheimgehalten, daß es ihr jetzt schwerfiel, Cotta, Rutilia und Publius Rutilius Rufus davon zu überzeugen, ihr kleiner Sohn, noch keine zwei Jahre alt, brauche unbedingt einen Erzieher. Aber nach vielen geduldigen Antworten auf viele ungläubige Fragen begannen ihre Verwandten zu begreifen.
    »Ich weiß keinen passenden Lehrer«, sagte Cotta und fuhr mit den Fingern durch sein lichter werdendes Haar. »Gaius und Marcus sind nun in den Händen der Rhetoren, und der junge Lucius geht in die Schule. Ich würde dir vorschlagen, zu einem der wirklich guten Sklavenhändler zu gehen, die auch Erzieher verkaufen — Mamilius Malchus oder Duronius Postumus. Wenn du allerdings auf einem Freien bestehst, weiß ich auch nicht, was ich dir sagen soll.«
    »Onkel Publius, du sagst ja gar nichts.« Aurelia sah ihren Onkel fragend an.
    »So ist es!« rief dieser treuherzig.
    »Soll das heißen, daß du jemanden kennst?«
    »Vielleicht. Aber zuerst will ich den kleinen Caesar selbst sehen, denn ich möchte mir selbst eine Meinung bilden. Du hast ihn recht versteckt gehalten, liebe Nichte, ohne daß ich wüßte warum.«
    »Er ist ein lieber kleiner Kerl«, sagte Rutilia sentimental.
    »Er ist ein Problem«, sagte seine Mutter unsentimental.
    »Nun, ich denke, es ist höchste Zeit, daß wir alle einmal vorbeikommen und uns den kleinen Caesar selbst anschauen«, sagte Cotta, der dicker geworden war und laut hörbar atmete.
    Aber Aurelia schlug bekümmert die Hände zusammen und sah so sorgenvoll von einem interessierten Gesicht zum anderen, daß die anderen erschrocken schwiegen. Sie kannten Aurelia seit ihrer Geburt und hatten noch nie erlebt, daß sie mit einer Situation nicht fertig wurde.
    »Bitte nicht!« rief sie. »Versteht ihr denn nicht? Genau das möchte ich nicht! Mein Sohn soll nicht denken, er sei etwas Besonderes! Aber genau das tut er, wenn drei Leute auf ihn losgehen, ihn mit Fragen löchern und über seine Antworten entzückt sind! Dann steigt ihm seine Wichtigkeit doch nur zu Kopf!«
    Zwei rote Flecken erschienen auf Rutilias Wangen. »Liebes Mädchen, er ist immerhin mein Enkel!« sagte sie spitz.
    »Ja, Mama, das weiß ich, und du kannst ihn auch sehen und ihn alles fragen, was du willst — aber noch nicht jetzt! Und nicht zu dritt! Er ist so

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