MoR 02 - Eine Krone aus Gras
noch nicht, denn für festliche Abendessen war sie noch zu jung. Aber sehr hübsch sollte sie sein, hatte er gehört. Kein Wunder: Ihre Mutter, eine Licinia, war noch immer eine schöne Frau. Sie war jetzt mit Metellus Celer verheiratet, einem Sohn des Metellus Balearicus. Nach einem Ehebruch. Durch Caecilius Metellus hatte die kleine Mucia zwei Halbbrüder. Scaevola hatte eine zweite, nicht so schöne Licinia geheiratet, die jetzt mit ihm zu dem Abendessen erschien und sich köstlich amüsierte.
Über den Abend berichtete Lucius Cornelius Sulla an Publius Rutilius Rufus in Smyrna:
Ich dachte, es würde eine triste Angelegenheit. Daß es nicht zu einem furchtbaren Eklat kam, verdankten wir allein Julia. Sie hatte dafür gesorgt, daß jeder Mann streng nach der Rangordnung Platz nahm, die Damen setzte sie so hin, daß kein Streit entstehen konnte. Mit dem Ergebnis, daß ich von Aurelia und Scaurus’ Frau Delmatica nur die Rücken sah.
Ich weiß, daß Scaurus Dir schreibt; unsere beiden Briefe gehen mit demselben Boten ab. Folglich wiederhole ich nichts von dem bevorstehenden Krieg mit den Italikern und gebe auch keine Zusammenfassung der Lobrede, die Scaurus im Senat auf Marius gehalten hat — Scaurus schickt Dir sicher eine Abschrift! Ich sage nur, daß ich es für eine Schande hielt, was Lupus getan hat, und daß ich nicht ruhig sitzen bleiben konnte, als er sich weigerte, unseren Altmeister in Dienst zu nehmen. Am meisten ärgert mich, daß ein Esel — ich meine, ein Wolf! — wie Lupus einen ganzen Kriegsschauplatz befehligt, während Gaius Marius eine niedrige Aufgabe übertragen bekommt. Aber besonders interessant ist, wie freundlich Gaius Marius die Neuigkeit aufgenommen hat, daß er die Aufgabe des ersten Legaten mit Caepio teilen muß. Ich frage mich, was der Fuchs aus Arpinum mit diesem Oberesel im Schilde führt. Etwas Gemeines, vermute ich.
Doch ich bin abgeschweift, zurück zu dem abendlichen Festmahl. Scaurus und ich haben folgendes vereinbart: Erstens schreibt jeder von uns ausführlich, und zweitens teilen wir uns den Stoff. Mir fällt der Tratsch zu, das ist sehr ungerecht. Immerhin ist Scaurus — Du ausgenommen, Publius Rutilius — das größte Klatschmaul, das ich kenne. Scaevola war deshalb eingeladen, weil Gaius Marius alle Hände voll zu tun hat, Marius’ Sohn mit Scaevolas Tochter zu verheiraten — der Tochter seiner ersten Licinia. Mucia, die zur Unterscheidung von den beiden älteren Mucias des Auguren Scaevola Mucia Tertia genannt wird, ist jetzt ungefähr dreizehn. Das Mädchen tut mir leid. Ich mag Marius nicht besonders. Er ist ein arroganter, dünkelhafter, ehrgeiziger junger Schnösel. Wer mit ihm in Zukunft zu tun hat, bekommt einigen Arger. Eine ganz andere Sorte als mein lieber toter Sohn.
Publius Rutilius, da ich nie, weder als Knabe noch als Mann, ein richtiges Familienleben gehabt habe, hat mir mein Sohn unendlich viel bedeutet. Vom ersten Augenblick, als ich ihn sah, ein nacktes lachendes Kerlchen in der Kinderstube, liebte ich ihn von ganzem Herzen. Ich fand in ihm den vollkommenen Gefährten. Ganz gleich was ich tat, er war immer begeistert. Ihm verdanke ich es, daß meine Reise in den Orient interessant und aufregend wurde. Daß er mir nicht wie ein erwachsener Mann in meinem Alter Ratschläge und Hinweise geben konnte, spielte keine Rolle.
Er verstand immer und fühlte mit. Und dann starb er, ganz plötzlich und ganz unerwartet! Wenn ich nur Zeit gehabt hätte, sagte ich mir, wenn ich mich hätte vorbereiten können... Aber wie bereitet sich ein Vater auf den Tod des Sohnes vor?
Die Welt, alter Freund, ist grau geworden seit seinem Tod. Ich glaube, es macht mir jetzt nicht mehr soviel aus wie früher. Es ist fast ein Jahr her, und auf eine Art bin ich wohl damit fertiggeworden, daß es ihn nicht mehr gibt. Aber auf die meisten Arten werde ich nicht damit fertig. Mir fehlt ein Stück meines Herzens, es klafft ein Loch, das nie gestopft werden kann. So kann ich zum Beispiel mit niemandem über ihn sprechen. Ich verberge seinen Namen, als habe es ihn nie gegeben, weil sich der Schmerz nicht verbergen läßt. Während ich diese Zeilen schreibe, rinnen mir die Tränen über das Gesicht.
Doch ich wollte nicht über den Knaben schreiben. Meine Feder sollte diesem verflixten Abendessen nachgehen! Ich dachte vielleicht deshalb an ihn (obwohl ich das, wie ich zugebe, immer tue), weil sie dabei war: die kleine Caecilia Metella Delmatica, .Scaurus' Frau. Ich glaube, sie ist
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