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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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habe ich meine guten Gründe und Roms Wohl im Auge! Nun, du elendes Würmchen, setz dich hin und zieh den Kopf ein! Und damit meine ich nicht diesen Auswuchs auf deinem Nacken! Für wen hältst du dich eigentlich? Du sitzt nur deshalb auf diesem besonderen Stuhl, weil du genug Geld hattest, um die Wähler zu kaufen!«
    Rot vor Wut sperrte Lupus den Mund auf.
    »Sag nichts, Lupus!« knurrte Scaurus. »Setz dich und schweig!«
    Dann wandte sich Scaurus an Gaius Marius, der kerzengerade auf seinem Hocker saß. Keiner der Angewesenden vermochte zu sagen, wie ihm zumute gewesen war, als sein Name nicht fiel. »Hier ist ein sehr bedeutender Mann«, sagte Scaurus. »Nur die Götter wissen, wie oft im Leben ich ihn verflucht habe! Nur die Götter wissen, wie oft im Leben ich mir gewünscht habe, daß es ihn nicht gäbe! Nur die Götter wissen, wie oft im Leben ich sein schlimmster Feind gewesen bin! Doch jetzt, wo die Zeit immer rascher davoneilt und mein Lebensfädchen immer dünner und schwächer wird, werden die Männer, an die ich mit Zuneigung zurückdenke, immer weniger. Das kommt nicht nur daher, daß Tod und Sterben für mich mit jedem Tag wichtiger werden. Es ist der wachsende Schatz an Erfahrungen, der mir sagt, wer es wert ist, daß man sich mit Zuneigung an ihn erinnert, und wer es nicht wert ist. Einige der Männer, die ich am meisten geliebt habe, bedeuten mir nichts mehr. Einige der Männer, die ich am meisten gehaßt habe, bedeuten mir jetzt alles.«
    Obwohl Scaurus wußte, daß Marius ihn mit glitzernden Augen ansah, vermied er es, den Blick zu erwidern. Er wußte: Wenn er es tat, würde er schallend loslachen müssen, obwohl er bei dieser Rede mit Leib und Seele dabei war. Ein Heiterkeitsausbruch hätte alles verdorben!
    »Gaius Marius und ich haben eine ganze Welt durchlebt«, verkündete er und starrte auf den bleichen Lupus. »Er und ich saßen Seite an Seite in diesem Haus und blickten uns mehr Jahre wütend an, als du, Wolfsmann, die Toga des Erwachsenen trägst! Wir haben uns geschlagen und gerauft, geschubst und gezerrt. Aber wir haben auch gemeinsam die Feinde der Republik bekämpft. Wir haben beide auf die Leichen der Männer gestarrt, die Roms Untergang wollten. Wir standen Schulter an Schulter. Wir haben zusammen gelacht — und geweint. Ich sage es noch einmal! Hier ist ein sehr bedeutender Mann. Ein sehr bedeutender Römer!«
    Scaurus stieg die Stufen hinab zum Portal und baute sich davor auf. »Wie Gaius Marius, wie Lucius Julius und wie Lucius Cornelius Sulla bin ich seit heute überzeugt, daß wir einem schrecklichen Krieg entgegensehen. Gestern war ich noch nicht überzeugt. Woher der Meinungsumschwung? Wer außer den Göttern weiß es? Wenn uns die starre Ordnung der Dinge sagt, daß bestimmte Dinge sind, wie sie sind, weil sie schon lange so sind, dann ändern wir nur sehr schwer unsere Meinung, Gefühle vernebeln den Verstand. Doch dann fällt es uns wie Schuppen von den Augen, und wir wissen Bescheid. Das ist mir heute widerfahren. Genau das ist Gaius Marius widerfahren. Wahrscheinlich ist es heute den meisten im Haus widerfahren. Tausend undeutliche Zeichen, die wir gestern noch nicht sahen, setzen sich plötzlich zu einem Bild zusammen.«
    Scaurus blickte in die Runde. »Ich habe mich entschlossen, in Rom zu bleiben, weil ich Rom hier am meisten nütze. Doch das gilt nicht für Gaius Marius. Ob ihr ihm — wie ich! — weit öfter widersprochen als zugestimmt habt, oder ob ihr — wie Sextus Julius! — ihm durch die doppelten Bande von Zuneigung und Heirat verbunden seid, ihr alle müßt zugeben — wie ich zugebe! —, daß wir in Gaius Marius ein militärisches Talent haben, das hervorragender ist und über einen reicheren Schatz an Erfahrung verfügt als wir alle zusammen. Und wenn Gaius Marius neunzig Jahre alt wäre und drei Schlaganfälle hinter sich hätte! Ich würde mich trotzdem hierher stellen und sagen, was ich jetzt sage: Wenn ein Mann Wort und Tat so glänzend in Einklang bringt wie er, dann müssen wir ihn dort einsetzen, wo er am meisten glänzt — im Feld! Springt über euren Schatten, eingeschriebene Väter! Gaius Marius ist so alt wie ich, ganze siebenundsechzig Jahre, er hatte einen Schlaganfall, und der liegt zehn Jahre zurück. Als euer Senatsvorsitzender mahne ich euch eindringlich: Gaius Marius muß erster Legat von Publius Lupus werden und seine vielseitigen Talente dort einsetzen, wo sie Rom am meisten nützen!«
    Keiner sagte ein Wort. Keiner atmete, so

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