MoR 02 - Eine Krone aus Gras
mit, da unten in der Subura. Ich glaube nicht, daß sie so leicht Schaden nehmen.«
»Frecher Bengel!« Die massige rechte Hand gab dem Jungen einen freundlichen Klaps auf den Kopf.
»Der Garten ist für uns zu eng, Gaius Marius. Wenn du deine linke Seite wieder richtig benutzen willst, müssen wir weiter und schneller gehen.« Caesar sagte es mit Bestimmtheit und Autorität, in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Marius widersprach trotzdem. »Ich lasse nicht zu, daß mich Rom in diesem Zustand sieht!«
Caesar löste bewußt den Griff um Marius linken Arm und ließ den großen alten Mann unsicher alleine weitergehen. Als Marius unvermeidlich zu stürzen drohte, trat der Junge wieder neben ihn und stützte ihn mühelos. Marius staunte jedesmal, wieviel Kraft in Gaius Caesars’ schmächtigem Körper steckte, und ihm entging nicht, daß Caesar instinktiv wußte, wie er seine Kräfte am wirkungsvollsten einsetzte.
»Gaius Marius, seit deinem Schlaganfall sage ich nicht mehr Onkel zu dir. Ich glaubte, wir stünden seither auf einer Stufe. Deine Würde ist geringer, meine ist größer geworden. Wir sind gleich. Aber in mancher Hinsicht bin ich dir sicher überlegen«, sagte der Knabe furchtlos. »Ich wollte meiner Mutter einen Gefallen tun, und ich dachte, ich könnte einem großen Mann von Nutzen sein, deshalb habe ich meine Freizeit geopfert, dir Gesellschaft geleistet und dir geholfen, wieder gehen zu lernen. Du wolltest nicht auf dem Sofa liegenbleiben und dir von mir vorlesen lassen, und alles, was du mir zu erzählen hattest, ist erzählt. Mittlerweile kenne ich in diesem Garten jede Blume, jeden Strauch und jedes Kraut! Und ich sage dir, es reicht jetzt. Morgen gehen wir durch die Tür auf den Clivus Argentarius hinaus. Es ist mir egal, ob wir zum Marsfeld hinauf- oder durch die Porta Fontinalis hinuntersteigen. Aber morgen verlassen wir diesen Garten!«
Die braunen Augen funkelten wild auf die frechen, hellen Augen hinab. So sehr Marius sich auch jedesmal bemühte, den Gedanken beiseite zu schieben, Caesars Augen erinnerten ihn stets an Sullas Augen. Es waren die Augen einer riesigen Katze auf der Lauer, und ihre Pupillen waren nicht grün, sondern blaßblau, von einem pechschwarzen Ring umschlossen. Solche Katzen galten als Besucher aus der Unterwelt, waren das solche Menschen auch?
Sie führten einen Zweikampf mit Blicken.
»Ich gehe nicht.«
»Du gehst.«
»Verfaulen sollst du, Caesar, bei den Göttern! Soll ich vielleicht einem Knaben nachgeben!? Wenn du schon deinen Willen haben mußt, kannst du ihn nicht diplomatischer durchsetzen?«
Die unheimlichen Augen blitzten vergnügt, lebendig und anziehend, ganz anders als Sullas Augen. »Bei Verhandlungen mit dir, Gaius Marius, ist Diplomatie fehl am Platz«, sagte Caesar. »Die Sprache der Diplomatie ist das Vorrecht der Diplomaten. Du bist kein Diplomat, zum Glück. Bei Gaius Marius weiß man immer, woran man ist. Und das mag ich an dir ebenso, wie ich dich mag.«
»Du nimmst vermutlich kein Nein als Antwort hin, Junge?« Marius fühlte, wie sein Entschluß wankte. Erst Stahl, dann Samthandschuhe. Welch taktisches Geschick!
»Du hast recht, ich nehme kein Nein hin.«
»Gut, dann hilf mir dort hinüber, damit ich mich setzen kann, Junge. Wenn wir morgen hinausgehen wollen, muß ich mich jetzt ausruhen.« Marius brummte behaglich. »Und wenn wir mit der Sänfte ausgingen? Bis zur Via Recta? Dort könnte ich aussteigen, und dann nach Herzenslust mit dir Spazierengehen.«
»Wenn wir bis zur Via Recta gehen, Gaius Marius, dann nur aus eigener Kraft.«
Eine Weile saßen sie schweigend da, Caesar rührte sich nicht. Er hatte sehr rasch bemerkt, daß Gaius Marius es verabscheute, wenn er nervös herumzappelte; als er seine Mutter danach gefragt hatte, hatte sie nur gesagt, er müsse eben lernen, still zu sitzen. Gegen Gaius Marius konnte er sich vielleicht durchsetzen, gegen seine Mutter bestimmt nicht!
Was von ihm verlangt wurde, fiel keinem Zehnjährigen leicht.
Nie durfte er nach dem Unterricht bei Marcus Antonius Gnipho mit seinem Freund Gaius Matius aus der anderen Wohnung im Erdgeschoß herumtollen, statt dessen mußte er jeden Tag zu Marius gehen und ihm Gesellschaft leisten. Für sich hatte er nie Zeit, seine Mutter gönnte ihm keinen Tag, keine Stunde, keinen einzigen Augenblick.
»Es ist deine Pflicht«, sagte sie, wenn er einmal bettelte, was selten genug vorkam, er wolle mit Gaius Matius zum Marsfeld gehen und ein besonderes
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