MoR 02 - Eine Krone aus Gras
werden, nicht aber die Zinsen. Asellio war Abkömmling der Familie Sempronius, die von jeher auf der Seite der Bedrückten gestanden hatte, und er brannte darauf, diese Tradition fortzusetzen. So erfüllte er seine Aufgabe denn auch mit fanatischem Eifer und schickte seine Feinde fort, denn gegen das Gesetz waren sie machtlos.
Freilich übersah er, daß er sich nicht nur unter den Rittern Feinde schuf. Dem Geldverleih gingen auch Senatoren nach, obwohl ihnen durch die Mitgliedschaft im Senat jede rein auf Gelderwerb angelegte Tätigkeit untersagt war, allen voran so schmutzige Betätigungen wie Wucher. Zu den Geldverleihern im Senat gehörte auch der Volkstribun Lucius Cassius, der das Gewerbe bei Ausbruch des Krieges aufgenommen hatte, um sein spärliches Einkommen als Senator aufzubessern. Als dann aber die Hoffnungen auf einen Sieg Roms rapide dahinschwanden, waren alle Schuldner säumig, kein Geld kam herein, und eine Überprüfung durch die neuen Zensoren rückte immer näher. Lucius Cassius, durchaus nicht der größte, aber der jüngste Geldverleiher im Senat, war völlig verzweifelt und sah keinen Ausweg mehr. Zudem mangelte es ihm von Natur aus an Respekt vor dem Gesetz. Als er handelte, tat er es nicht nur für sich selbst, sondern für alle Wucherer.
Asellio war Augur und Stadtprätor und holte auf dem Podiumssockel des Tempels von Castor und Pollux regelmäßig für die Stadt die göttlichen Zeichen ein. Ein paar Tage nach seiner Auseinandersetzung mit den Geldverleihern hielt er wieder ein Auspicium ab, und dabei fiel ihm auf, daß sehr viel mehr Menschen als sonst unten auf dem Forum die Zeremonie beobachteten.
Als er die Schale hob, um das Trankopfer auszugießen, traf ihn direkt über der linken Augenbraue ein Stein. Asellio zuckte zusammen und ließ die Schale fallen, das geweihe Wasser floß auf den Boden, die Schale rollte scheppernd die Stufen des Tempels hinab. Weitere Steine flogen, prasselten auf ihn nieder. Asellio duckte sich unter dem Hagel weg, zog die bunte Toga über den Kopf und rannte die Tempfelstufen hinab instinktiv in Richtung auf den Tempel der Vesta. Seinen Anhängern in der Menge schwante Schlimmes, und sie machten sich eilends aus dem Staub. Die Steinewerfer, aufgebrachte Geldverleiher, versperrten Asellio den Weg zum Heiligtum der Göttin des Herdfeuers.
Der einzige Fluchtweg war ein Durchgang in der Nähe, der Clivus Vestae, der über die Vesta-Treppe einige Meter weiter oben in die Via Nova mündete. Asellio rannte um sein Leben, die schreienden Wucherer dicht auf den Fersen, die Treppe hinauf und in die Via Nova hinein, eine Straße mit vielen Gasthäusern, die Männer vom Forum und vom Palatin besuchten. Um Hilfe rufend, stürzte er in das Gasthaus des Publius Cloatius.
Niemand kam ihm zu Hilfe. Während zwei Männer Cloatius und zwei seiner Gehilfen festhielten, packte der Rest der Menge Asellio und streckte ihn auf einem Tisch aus, wie es die Gehilfen des Augurs sonst mit den Opfertieren taten. Jemand setzte ihm ein Messer an die Kehle und schnitt sie genüßlich bis zum Halswirbel durch. Asellio starb in einer Fontäne aus Blut, und Publius Cloatius beteuerte weinend und schreiend, er habe niemanden gesehen, ganz gewiß niemanden!
Auch sonst hatte niemand in Rom etwas gesehen. Voller Abscheu über den Mord und den Frevel setzte der Senat eine Belohung von zehntausend Denaren aus für Hinweise, die zur Ergreifung der Mörders führen würden. Die Senatoren zeigten sich öffentlich empört, daß man einen Auguren in voller Amtstracht und mitten in einer offiziellen Zeremonie ermordet hatte. Als nach acht Tagen noch immer nicht der kleinste Hinweis eingegangen war, stockte der Senat sein Angebot auf: Er stellte Gnade für einen Mittäter in Aussicht, die Freilassung, falls es sich um einen Sklaven oder eine Sklavin handelte, und Aufnahme in eine ländliche Tribus für Freigelassene beiderlei Geschlechts. Aber auch daraufhin ging nicht der leiseste Hinweis ein.
»Was soll man erwarten?«, fragte Gaius Marius, der sich, gestützt auf seinen Begleiter Caesar, durch den Säulengarten schleppte. »Die Geldverleiher haben natürlich alles vertuscht.«
»Das sagt Lucius Decumius auch.«
Marius hielt inne. »Hast du viel Umgang mit diesem alten Schurken, Caesar?«
»Ja, Gaius Marius. Von ihm erfährt man immer interessante Neuigkeiten.«
»Die wahrscheinlich nichts für deine Ohren sind, wette ich.«
Caesar grinste. »Mit meinem übrigen Körper wachsen auch die Ohren
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