MoR 02 - Eine Krone aus Gras
übrigens so schlau, daß er sich mir gegenüber nie so gebärdet hat. Oder seiner Mutter gegenüber.«
»Wie viele Zeugen gibt es, Gaius Marius?«
»Nur den einen, soweit ich bisher weiß. Näheres werde ich erst wissen, wenn ich mit Lucius Cornelius Cinna gesprochen habe, dem jetzigen Befehlshaber. Marius muß sich natürlich gegen die Anklage verteidigen. Wenn der Zeuge bei seiner Geschichte bleibt, wird mein Sohn ausgepeitscht und enthauptet. Einen Konsul zu töten ist nicht nur Mord, es ist auch ein Frevel.«
Lucius Decumius schnalzte zweimal mit der Zunge und schwieg. Natürlich wußte er, warum man gerade ihn mitgenommen hatte auf diese Reise, die Ordnung in das furchtbare Durcheinander bringen sollte. Es faszinierte ihn, daß Gaius Marius ihn hatte holen lassen, Gaius Marius, der aufrechteste, ehrbarste Mensch, den Lucius Decumius kannte. Was hatte Lucius Sulla vor Jahren gesagt? Wenn er einen gewundenen Weg einschlage, gehe Marius ihn gerade. Und doch sah es in dieser Nacht ganz so aus, als habe Gaius Marius beschlossen, einen gewundenen Weg gewunden zu gehen. Das paßte nicht zu ihm, es gab andere Wege, Wege, von denen Lucius Decumius gedacht hatte, daß Gaius Marius sie wenigstens ausprobieren würde.
Lucius Decumius zuckte die Achseln. Gaius Marius war schließlich Vater. Und er hatte nur ein Kind. Da war es natürlich sehr wertvoll. Übel war der Knabe durchaus nicht, wenn man vom gockelhaften Stolz einmal absah. Es mußte schwer sein, der Sohn eines großen Mannes zu sein, besonders wenn man selbst nicht das Format hatte. Sicher, er mochte tapfer sein, und ehrgeizig war er wohl auch. Aber aus ihm würde nie ein wirklich großer Mann werden. Dazu brauchte man ein hartes Leben, härter als das des jungen Marius. So eine nette Mutter! Wenn er Caesars Mutter gehabt hätte, wäre es wohl anders gewesen. Sie sorgte dafür, daß ihr Sohn ein hartes Leben hatte, und ließ ihm keinen Fingerbreit Freiheit. Viel Geld hatte die Familie auch nicht.
Das bisher flache Land stieg plötzlich steil an, und die müden Maultiere trabten nur noch widerwillig weiter. Lucius Decumius gab ihnen kurz die Peitsche, rief ein paar Schimpfworte und trieb sie mit eiserner Hand voran.
Fünfzehn Jahre zuvor hatte sich Lucius Decumius zum Beschützer von Caesars Mutter Aurelia gemacht, und etwa zur selben Zeit hatte er sich eine zusätzliche Einnahmequelle erschlossen. Von Geburt war er echter Römer, ein Angehöriger der städtischen Tribus Palatina, dem Zensus nach war er Mitglied der vierten Klasse, und von Berufs wegen führte er einen Kreuzwegeverein, der in Aurelias Mietshaus untergebracht war. Der untersetzte Mann mit der undefinierbaren Haarfarbe, den nichtssagenden Zügen, der wenig vertrauenerweckenden Erscheinung und dem Mangel an Bildung glaubte im stillen unerschütterlich an seine Intelligenz und seinen Scharfsinn. Er leitete die Bruderschaft wie ein Feldherr.
Zu den Pflichten der Bruderschaft, die vom Prätor offiziell anerkannt war, gehörte alles, was mit dem Unterhalt des Kreuzwegs zu tun hatte: Sie kehrten und putzten das Gelände, sorgten dafür, daß dem Schrein der Laren der gebührende Respekt erwiesen wurde, und hatten ein Auge auf den großen Brunnen, der das Wasser für den Bezirk lieferte und in das richtige Becken fließen mußte. Außerdem überwachten sie das alljährliche Larenfest am Kreuzweg. Die Mitglieder des Kreuzwegevereins waren Männer, die in der Umgebung wohnten, aus allen Schichten, Römer von der zweiten Klasse bis zu den Besitzlosen, Ausländer wie Juden und Syrer bis zu griechischen Freigelassenen und Sklaven. Die Beiträge der zweiten und dritten Klasse beschränkten sich auf großzügige Schenkungen, sie leisteten keine Arbeit. Unterhalten wurde das überraschend saubere Gelände von Arbeitern, die tagsüber redend zusammensaßen und billigen Fusel tranken. Alle Arbeiter — ob Freigelassene oder Sklaven — hatten jeden achten Tag frei, aber nicht alle am selben Tag. Der Ruhetag eines Mannes war der jeweils achte Tag von dem Tag an gerechnet, an dem er seine Arbeit angetreten hatte. So traf Lucius Decumius jeden Tag eine andere Gruppe an. Sobald Lucius Decumius verkündete, daß es etwas zu tun gebe, stürzten alle den Wein hinunter und beeilten sich, seinen Befehlen nachzukommen.
Neben der Betreuung des Kreuzwegs hatte die Bruderschaft unter der Führung des Lucius Decumius noch ein ganz anderes Betätigungsfeld. Marcus Aurelius Cotta, Aurelias Onkel und Stiefvater, hatte
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