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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Aurelia einst das Mietshaus gekauft, um ihre Mitgift gewinnbringend für sie anzulegen. Die ebenso energische wie furchtlose junge Frau fand bald heraus, daß unter ihrem Dach Männer wohnten, die Schutzgelder von Ladenbesitzern und Geschäftsleuten erpreßten. Aurelia machte dem Spuk rasch ein Ende — genauer gesagt, Lucius Decumius und seine Brüder verlegten ihre Geschäfte in Gegenden, wo Aurelia die Opfer nicht kannte und die sie nie betrat.
    Etwa um die Zeit von Aurelias Einzug fand Lucius Decumius eine weitere Nebentätigkeit, die seiner Natur entsprach und seiner Geldbörse gut bekam: Er wurde Mörder. Obwohl seine Taten mehr durch Gerüchte als durch Berichte bekannt wurden, hielten ihn alle, die ihn kannten, stillschweigend für den Drahtzieher vieler Attentate und Raubmorde in der Stadt und außerhalb. Daß keiner ihn je behelligte — oder ihn gar dingfest machte —, verdankte er seiner besonderen Geschicklichkeit und seinem Mut. Er hinterließ nie Spuren, doch seine lukrative Nebentätigkeit war in der Subura ein offenes Geheimnis. Und Lucius Decumius sagte selbst, daß man keine Aufträge bekomme, wenn keiner wisse, daß man ein Mörder sei. Einige Taten hingegen bestritt er, und wieder glaubte man ihm stillschweigend. Den Mord an Asellio hatte er angeblich als Tat eines Stümpers bezeichnet. Schließlich hatte der Mörder einen Auguren mitten in der Zeremonie und in voller Amtstracht getötet und damit das Schicksal Roms aufs Spiel gesetzt. Was Metellus Numidicus Schweinebacke anbetraf, war es Lucius Decumius’ wohlerwogene Meinung, daß man ihn tatsächlich vergiftet hatte. Gleichwohl erzählte er jedem, Gift sei das Werkzeug von Weibern, er gebe sich mit so etwas nicht ab.
    Bei der ersten Begegnung mit Aurelia hatte er sich auf der Stelle in sie verliebt — und damit meinte er, wie er immer wieder sagte, kein schwärmerisches Gefühl und auch kein körperliches Begehren. Vielmehr hatte er instinktiv in Aurelia eine verwandte Seele erkannt, genauso entschlossen, genauso mutig und intelligent wie er selbst. Er machte es sich zur Aufgabe, Aurelia zu umsorgen und zu schützen, und als die Kinder kamen, nahm er auch sie unter seine räuberischen Fittiche. Ihren Sohn Caesar betete er geradezu an, liebte ihn in Wahrheit mehr als seine beiden eigenen Söhne, die inzwischen schon fast Männer waren und für den Kreuzwegeverein ausgebildet wurden. Viele Jahre hatte er auf den Jungen aufgepaßt, ihm stundenlang Gesellschaft geleistet, ihm mit seltener Offenheit gesagt, was er von der Welt hielt, der der Junge angehörte; er hatte ihm verraten, wie man Schutzgelder erpreßte und wie ein guter Mörder zu Werke ging. Es gab nichts, was Caesar über Lucius Decumius nicht gewußt hätte, und nichts, was er nicht verstanden hätte. Ein patrizischer römischer Edelmann und ein Römer der vierten Klasse, Anführer einer Kreuzwegebruderschaft, lebten in verschiedenen Welten; was dem einen recht und billig war, war für den anderen ganz und gar nicht angemessen. Jedem das seine. Doch das hinderte sie nicht, daß sie Freunde wurden und sich sehr gerne mochten.
    »Wir einfachen Bürger sind alle Gauner«, hatte Lucius Decumius dem jungen Caesar erklärt. »Anders geht es auch nicht, wenn wir gut essen und trinken und drei oder vier Sklaven haben wollen — und eine Sklavin, bei der es sich lohnt, wenn man ihr das Gewand hebt. Und selbst wenn wir besonders geschäftstüchtig wären, was meist nicht der Fall ist, wo sollten wir das Kapital hernehmen, frage ich dich? Nein, ein Mann schneidert sich die Tunika passend zu den Kleidern, sage ich immer. Und so ist es auch.« Er legte den rechten Zeigefinger an den Nasenflügel und entblößte beim Grinsen die schlechten Zähne. »Aber kein Wort, Gaius Julius! Kein Wort zu niemandem! Schon gar nicht zu deiner lieben Mutter.«
    Die Geheimnisse blieben Geheimnisse, auch in Zukunft, und auch für Aurelia. Caesar erhielt eine sehr viel umfassendere Erziehung, als sie sich träumen ließ.

    Um Mitternacht hatte der Karren mit den schwitzenden Mauleseln das Heerlager direkt hinter dem kleinen Dorf Tibur erreicht. Gaius Marius hatte nicht die geringsten Bedenken, den ehemaligen Prätor Lucius Cornelius Cinna im Bett wachzurütteln.
    Marius und Cinna kannten sich nur flüchtig und lagen vom Alter her um mindestens dreißig Jahre auseinander, doch wußte man aus Cinnas Reden im Senat, daß er Gaius Marius bewunderte. Es war ein guter Stadtprätor gewesen und hatte Rom während des

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