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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Gürtel seiner Tunika zog und in den Schlitz in der Mitte des Leders einen Metalldorn einlegte. Mit einer zufälligen Geste und so selbstverständlich, wie man gähnt oder sich am Schenkel kratzt, hob er die Schleuder auf Augenhöhe, spannte das Leder bis an die Grenze der Dehnbarkeit, zielte genau und ließ das Band los.
    Publius Claudius’ Pferd stieß ein wildes Wiehern aus und bäumte sich auf. Instinktiv klammerte sich der Kadett an der Mähne fest und versuchte, sich auf dem Rücken des Tieres zu halten. Ohne die Gefahr zu bedenken, rutschte Caesar den Rücken seines Pferdes nach vorn, beugte sich über den Hals und griff nach dem Zügel des anderen Pferdes. Alles ging so schnell, daß man hinterher nur noch eines mit Bestimmtheit sagen konnte: Caesar hatte mit einem Mut und einer Kaltblütigkeit gehandelt, die für einen Jungen seines Alters höchst ungewöhnlich waren. Auch sein Pferd scheute und bäumte sich auf, stieß die Vorderläufe erst dem Reittier des Publius Claudius in die Flanke und setzte sie dann ins Nichts. Beide Pferde stürzten mit ihren Reitern über den Rand des Felsens, doch im letzten Augenblick gelang es dem jungen Caesar, sich vom Rücken seines Tieres abzustoßen und zur rettenden Felsplatte hinüberzuspringen. Er landete halb mit seinem Körper darauf und zog sich geschmeidig wie eine Katze auf allen vieren Stück um Stück auf sicheren Boden.
    Kalkweiß, mit stieren Blicken drängten sich die Reiter vor dem Abgrund, überzeugten sich zunächst nur, daß der Knabe mit heiler Haut davongekommen war. Angeleitet von Caesar — der gefaßter war als alle anderen —, beugten sie sich dann vorsichtig über die Felskante und starrten in die Tiefe, wo die verrenkten Leiber der Pferde lagen. Und Publius Claudius Pulcher. Alles blieb still. Angespannt lauschten sie auf einen Hilferuf, doch sie vernahmen nur das Säuseln des Windes. Nichts regte sich. Hoch oben kreiste ein Falke in der Luft.
    »Hierher, geh sofort da weg!« rief eine Stimme von hinten. Lucius Decumius packte Caesar bei der Schulter und zerrte ihn vom Rand des Felsens fort. Er kniete nieder und tastete zitternd den ganzen Leib des Knaben ab, vergewisserte sich, daß kein Knochen gebrochen war. »Warum hast du das gemacht?« flüsterte er so leise, daß nur Caesar es hörte.
    »Es mußte doch echt aussehen«, flüsterte der zurück. »Ich dachte einen Augenblick, daß sich das Pferd wieder fängt. So war es am sichersten. Ich wußte, daß ich mich würde retten können.«
    »Woher hast du gewußt, was ich vorhatte? Du hast doch nicht einmal zu mir hergesehen!«
    Caesar stieß einen verärgerten Seufzer aus. »Aber Lucius Decumius! Ich kenne dich doch! Ich wußte von Anfang an, warum Gaius Marius gerade dich mitgenommen hat. Mir ist es ziemlich gleichgültig, was mit meinem Vetter passiert, aber ich will nicht, daß man Gaius Marius und unsere Familie in Verruf bringt. Gerüchte sind eine Sache, ein Zeuge ist eine ganz andere.«
    Lucius Decumius schmiegte seine Wange an das glänzende goldene Haar und schloß vor Wut die Augen. Er war so aufgebracht wie der Junge. »Du hast immerhin dein Leben aufs Spiel gesetzt!«
    »Mach dir keine Sorgen um mein Leben. Darauf passe ich schon selbst auf. Das lasse ich erst fahren, wenn ich nichts mehr damit anfangen kann.« Der Junge befreite sich aus Lucius Decumius’ Umarmung und schritt auf Gaius Marius zu, um nachzusehen, ob auch bei ihm alles in Ordnung war.

Bestürzt und verwirrt goß Lucius Cornelius Cinna sich und Gaius Marius Wein ein, als sie wieder im Zelt des Oberbefehlshabers waren. Lucius Decumius wollte mit Caesar an den Wasserfällen des Aniene angeln, während sich einige Männer aus der übrigen Gesellschaft vorbereiteten, die Überreste des Kadetten Publius Claudius Pulcher zu bergen und an den Ort der Beisetzung zu überführen.
    »Ich muß sagen, für mich und meinen Sohn kam der Unfall gerade rechtzeitig«, sagte Marius unumwunden und nahm einen tiefen Schluck Wein. »Ohne Publius Claudius gibt es keine Anklage, mein Freund.«
    »Es war ein Unfall.« Cinna klang, als müßte er sich selbst überzeugen. »Es kann nur ein Unfall gewesen sein!«
    »Ganz recht. Nur ein Unfall. Und fast hätte ich den Jungen verloren, der besser ist als mein Sohn.«
    »Einen Augenblick hatte ich für sein Leben keine große Hoffnung mehr.«
    »Dieser Junge gibt Anlaß zu den größten Hoffnungen.« Marius brummte behaglich. »Ich werde ihn in Zukunft im Auge behalten müssen. Sonst stellt er

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