MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Gaius Marius, werde von einem einfachen Prätor belehrt, wie ich mich zu verhalten habe! Ich kann es dir verzeihen, daß du einen militärischen Stümper getötet hast, der seine Armee ins Verderben geführt hätte. Aber ich verzeihe es dir nicht, mein Sohn, daß du mich in eine Situation gebracht hast, wo ich Befehle entgegennehmen muß.«
Am nächsten Nachmittag, als sich die Reitgesellschaft versammelt hatte, verhielt sich Marius Publius Claudius gegenüber vollkommen korrekt. Der dunkelhaarige junge Mann wirkte niedergeschlagen, offenbar fühlte er sich in seiner Haut ganz und gar nicht wohl. Marius ritt an Cinnas Seite, ihnen folgten Cinnas Legat Marcus Caecilius Cornutus und Marius’ Begleiter Caesar, am Schluß ritten die Kadetten. Die Führung übernahm Lucius Decumius, da keiner das Gelände so gut kannte wie er.
»Nach ungefähr einer Meile erwartet uns eine herrliche Aussicht auf Rom«, versprach er. »Das ist gerade so weit, wie Gaius Marius reiten soll.«
»Woher kennst du Tibur so gut?« fragte Marius.
»Der Vater meiner Mutter stammte aus Tibur.« Lucius Decumius führte die Reiter auf einem engen Pfad eine Anhöhe hinauf.
»Ich hätte nicht gedacht, daß in deinem unansehnlichen Leib ein Knochen Landliebe steckt, Lucius Decumius.«
»Das ist auch nicht der Fall, Gaius Marius«, rief Decumius fröhlich über die Schulter. »Aber du weißt ja, wie die Frauen sind! Meine Mutter hat uns jeden Sommer hierher geschleppt.«
Obwohl es ein schöner, sonniger Tag war, blies den Reitern eine kalte Brise ins Gesicht. Unten in der Schlucht hörten sie den Aniene, manchmal laut, dann wieder nur leise murmelnd. Lucius Decumius gab ein langsames Tempo vor, und die Zeit dehnte sich endlos. Für die ganze übrige Gesellschaft lohnte der Ausflug nur deshalb die Mühe, weil Gaius Marius Gefallen daran fand. Publius Claudius Pulcher, der zunächst eine schreckliche Begegnung mit dem Vater des jungen Marius erwartet hatte, entspannte sich nach und nach und begann eine Unterhaltung mit zwei anderen Kadetten. Unterdessen fragte sich Cinna, ob Marius Anstalten machen würde, mit dem Ankläger seines Sohnes ins Gespräch zu kommen. Ein solches Gespräch hielt Cinna nämlich für den wahren Grund des Ausritts. Hätte sein Sohn in einer solchen Misere gesteckt, dann hätte er als Vater zu jeder erdenklichen List gegriffen.
»Dort!« Lucius Decumius zeigte nach vorn und ritt mit seinem Pferd beiseite, damit die anderen vorausreiten konnten. »Das ist ein Ausblick, der einen Ausflug lohnt!«
Der Ausblick lohnte sich tatsächlich. Die Reiter hielten auf einem schmalen Felsen an einem Berg, an dem es einen gewaltigen Erdrutsch gegeben hatte, so daß der Abhang zum Tal hin fast senkrecht abfiel. Sie konnten das reißende, weißschäumende Wasser des Aniene bis zum Zusammenfluß mit dem Tiber überblicken, der sich blau aus dem Norden herabschlängelte. Und hinter dem Punkt, wo sich die beiden Flüsse trafen, lag Rom, ein weites, farbenfrohes Gemisch aus bunt gestrichenen Mauern, roten Ziegeldächern und blendendweißen Standbildern auf Tempeln. In der klaren Luft sah man in weiter Ferne an der messerscharfen Linie des Horizonts das Tyrrhenische Meer.
»Wir sind hoch oben über Tibur«, sagte Lucius Decumius hinter ihnen und stieg vom Pferd.
»Wie winzig die Stadt in dieser Entfernung ist!« Cinna war beeindruckt.
Alle Reiter außer Lucius Decumius drängten sich in buntem Durcheinander nach vorn, um den Ausblick zu genießen. Cinna, der Marius keine Gelegenheit zu einem Gespräch mit Publius Claudius geben wollte, lenkte sein Pferd zur Seite und drängte Marius ab, als sich die Kadetten näherten.
»Oh, seht nur!« rief Caesar und gab seinem Pferd heftig die Hacken in die Flanken, als es nicht weiterwollte. »Dort ist der Aquädukt des Aniene! Er sieht aus wie ein Spielzeug! Ist das nicht herrlich?« fragte er direkt zum jungen Publius Claudius hinüber. Ihn begeisterte die Aussicht fast ebenso, und er ritt noch ein Stück näher an den Rand des Felsens heran.
Caesar und Claudius Pulcher saßen nebeneinander so nahe am Rand des Felsens, wie sich ihre Pferde hatten lenken lassen. Sie blickten auf Rom hinunter, und als sie sich satt gesehen hatten, lächelten sie sich an.
Der herrliche Ausblick fesselte die Aufmerksamkeit der gesamten Gesellschaft. Keiner bemerkte, wie Lucius Decumius hinter ihnen eine kleine Astgabel, deren Enden mit einem Band aus weichem, dehnbarem Ziegenleder verbunden war, aus der Börse am
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