MoR 02 - Eine Krone aus Gras
besaß jedoch niemand die zur Erstürmung einer so großen und gut befestigten Stadt notwendige Erfahrung, und ein erster Versuch scheiterte kläglich. Zum Verhängnis wurde dem König, daß ihm die Geduld für eine langfristige Belagerung der Stadt abging, was der einzig sichere Weg zum Sieg gewesen wäre. Er wollte unbedingt den Frontalangriff. Diesmal sollten die rhodischen Kriegsschiffe aus dem Hafen gelockt werden, denn der Hauptsturm des pontischen Angriffs sollte von See aus mit Hilfe einer Fallbrücke, einer sambyke geführt werden.
Der König war von der Idee mit der Fallbrücke besonders begeistert, weil er ganz allein darauf gekommen war und Pelopidas und die anderen Generäle sie als brillant und gut durchführbar bezeichnet hatten. Überglücklich beschloß Mithridates, die Fallbrücke höchstpersönlich zu bauen, also zu entwerfen und den Bau zu überwachen.
Er ließ zwei riesige »Sechzehner«, die der gleichen Werft entstammten, in der Mitte miteinander verzurren. Schon hier zeigte sich, daß die technischen Kenntnisse des Königs mangelhaft waren. Statt die Schiffe an Bug und Heck zusammenzubinden, um das Gewicht, das auf der ganzen Konstruktion lasten sollte, gleichmäßig zu verteilen, verband er sie in der Mitte, wo sie sich berührten. Über die beiden Schiffe ließ er ein Deck bauen, das so groß war, daß es an beiden Seiten überstand, ohne daß es an den Trägerschiffen ordentlich befestigt worden wäre. Auf der Mittellinie dieses gemeinsamen Decks ließ er zwei Türme errichten, den einen über den auseinanderklaffenden Bugen der beiden Schiffe, den anderen über den näher beieinanderliegenden Hecks. Zwischen den beiden Türmen wurde eine breite Brücke gebaut, die mittels eines Systems aus Zügen und Winden von ihrer Grundposition auf Deck bis auf die Höhe der Türme hoch- und niedergelassen werden konnte. In den Türmen befanden sich mächtige, von Hunderten von Sklaven zu bedienende Tretwerke, mittels derer die Brücke bewegt werden konnte. Ein aus schweren Planken gezimmerter, hoher Zaun war mit Scharnieren längs der Brük- ke vom Bug- zum Heckturm befestigt. Wenn die Brücke hochgezogen wurde, gewährte der Zaun Schutz vor Geschossen, hatte die Brücke die mächtigen Hafenmauern erreicht, konnte der Zaun wie eine Landungsbrücke über die Mauern geklappt werden.
An einem windstillen Tag Ende November begann der Angriff. Zwei Stunden zuvor war die rhodische Flotte nach Norden gelockt worden. Die pontische Armee griff die landeinwärts gelegenen Festungsmauern an ihren schwächsten Stellen an, gleichzeitig ruderte die pontische Flotte, von der ein Teil zur Abwehr der rhodischen Flotte eingesetzt worden war, in den Hafen von Rhodos hinein. Im selben Augenblick durchschauten die rhodischen Seeleute die Kriegslist und machten kehrt. Aus der Mitte der riesigen pontischen Flotte ragte die mächtige Fallbrücke auf, die von Dutzenden von Leichtern geschleppt wurde und hinter der die mit Truppen beladenen Transportschiffe kamen.
Während von den rhodischen Mauern aufgeregtes Geschrei und hektischer Lärm herüberdrangen, machten die Leichter die sambyke geschickt an der breiten Hafenmauer fest, hinter der sich der Tempel der Isis befand. Kaum war das Manöver geschafft, drängten sich die Truppentransporter um die Fallbrücke. Von wütenden Steinwürfen, Pfeilen und Speeren nahezu unbehelligt, strömten die pontischen Soldaten auf die Brücke, auf der sie sich dicht nebeneinander flach hinlegen mußten. Dann peitschten die Männer an den Winden auf die Sklaven ein und setzten die Tretwerke in Gang. Unter fürchterlichem Knarren und Ächzen bewegte sich die Brücke mit den Soldaten nach oben. Hunderte behelmter Köpfe tauchten über der Brüstung der Mauer auf und beobachteten das Schauspiel fasziniert und entsetzt. Auch Mithridates sah von seinem Schiff aus zu, das inmitten der dicht an dicht gedrängten pontischen Schiffe lag, und wartete darauf, daß der Widerstand der Rhodier sich ausschließlich auf diesen Teil der Festungsmauer konzentrieren würde. Wenn die sambyke die ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, sollten die anderen Schiffe sich entlang der Hafenmauer verteilen und die Soldaten mit Leitern die Mauern erklimmen und die gesamte dem Hafen zugewandte Festungsmauer einnehmen.
Es konnte nichts schief gehen! Diesmal kriege ich sie! dachte der König und ließ seine Augen liebevoll auf der Fallbrücke ruhen, die sich langsam zwischen den Türmen nach oben bewegte. Bald
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