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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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konnte das Volk keine Gesetze mehr diskutieren und beschließen. Die gesamte Gesetzgebung lag in den Händen von Sullas neuer Zenturienversammlung, in der Senat und Ritterstand alle Entscheidungsgewalt hatten, zumal wenn sie sich einig waren — was immer der Fall war, wenn es um durchgreifende Änderungen oder neue Rechte für die unteren Klassen ging. Von jetzt an hatten die Tribus praktisch keine Macht mehr, weder in der Versammlung des ganzen Volkes noch in der Versammlung der Plebs. Als die Bürger das fünfte Gesetz verabschiedeten, wußten sie, daß sie sich damit selbst entmachteten: Das Volk konnte in Zukunft nur noch über die Besetzung einiger Ämter abstimmen, und um vor der Versammlung der Tribus einen Prozeß zu führen, mußte erst ein Gesetz verabschiedet werden.
    Sulpicius’ Gesetze standen noch auf den Tafeln, waren offiziell also immer noch gültig. Aber was nützte das? Was bedeutete es, wenn die neuen Bürger aus Italia und dem italischen Gallien sowie die Freigelassenen der beiden städtischen Tribus auf alle fünfunddreißig Tribus verteilt wurden? Die Versammlung der Tribus konnte keine Gesetze mehr verabschieden und keine Prozesse führen.
    Das Gesetzeswerk hatte einen Schwachpunkt, und Sulla wußte das. Doch da er auf die Abreise nach Osten drängte, blieb ihm nicht genug Zeit, das Problem zu lösen. Es betraf die Volkstribunen. Sulla hatte ihnen die Zähne ziehen können, denn sie konnten jetzt weder Gesetze erlassen noch jemanden anklagen. Aber es war ihm nicht gelungen, ihnen auch die Krallen zu schneiden — und sie hatten scharfe Krallen! Sie hatten immer noch die Rechte, die das Volk ihnen ursprünglich zugesprochen hatte. Und dazu gehörte auch das Vetorecht. Sulla hatte sorgfältig darauf geachtet, daß keines seiner Gesetze die Volkstribunen direkt betraf, sondern immer nur die Organe, innerhalb derer die Volkstribunen arbeiteten. Formal betrachtet hatte er bisher keinen offenen Verrat begangenen. Wenn er den Volkstribunen das Vetorecht abgesprochen hätte, wäre das Hochverrat gewesen, ein Verstoß gegen die Sitten der Väter. Die Rechte der Volkstribunen waren fast so alt wie die Republik, sie durften nicht angetastet werden.
    Inzwischen vervollständigte Sulla sein Gesetzeswerk, allerdings nicht auf dem Forum Romanum, der gewöhnlichen Versammlungsstätte des Volkes, zu der auch Zuschauer Zugang hatten. Das sechste und siebte Gesetz Sullas wurde der Zenturiatsversammlung auf dem Marsfeld vorgelegt, inmitten der Armee Sullas, die dort lagerte.
    Das sechste Gesetz hätte Sulla auch schwerlich auf dem Forum verkünden können, denn es erklärte alle Gesetze des Sulpicius mit der Begründung für ungültig, sie seien unter Anwendung von Gewalt und während rechtmäßig verfügter religiöser Feiertage verkündet worden.
    Das letzte Gesetz war eigentlich ein Strafprozeß. Zwanzig Männer wurden des Verrats angeklagt, und zwar nicht eines Hoheitsverbrechens nach Saturninus’ neuem Recht, sondern der perduellio, des Hochverrats, einem uralten und starren Begriff des römischen Rechts. Gaius Marius, der junge Marius, Publius Sulpicius Rufus, der Stadtprätor Marcus Junius Brutus, Publius Cornelius Cethegus, die Brüder Granii, Publius Albinovanus, Marcus Laetorius und zwölf andere Namen wurden genannt. Die Zenturiatsversammlung verurteilte sie alle. Und auf Hochverrat stand die Todesstrafe, Verbannung genügte den Zenturien nicht. Schlimmer noch, die Todesstrafe konnte bei der Festnahme vollstreckt werden, es waren keine Formalitäten nötig.

    Niemand, weder Sullas Freunde noch die führenden Senatoren, widersetzte sich Sullas Plänen — nur der zweite Konsul, Quintus Pompeius Rufus. Er sah immer niedergeschlagener aus, bis er schließlich offen erklärte, er könne die Hinrichtung von Männern wie Gaius Marius und Publius Sulpicius nicht billigen.
    Sulla hatte auch gar nicht die Absicht, Marius hinrichten zu lassen — Sulpicius jedoch würde verschwinden müssen. So versuchte er zunächst, Pompeius Rufus mit Scherzen aufzuheitern. Als das nichts nützte, schilderte er ausführlich, wie der junge Quintus Pompeius Rufus in den Händen von Sulpicius’ Horde gestorben war. Aber je angestrengter Sulla Pompeius Rufus zu überzeugen suchte, desto hartnäckiger blieb dieser. Für Sulla war entscheidend, daß der Zusammenhalt derer, die in Rom das Sagen hatten und die Tribusversammlungen durch Gesetze ausschalten wollten, zumindest nach außen gewahrt blieb. Deshalb, so beschloß er,

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