Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
Vom Netzwerk:
kein Mann. Bis ich ein Mann bin, werde ich diese furchtbaren Kleider nicht mehr anziehen. Ich werde meinen Gürtel umschnallen und meine toga praetexta und vernünftige Schuhe anziehen. Ich werde essen, was mir schmeckt. Ich werde meine Kampfübungen auf dem Marsfeld fortsetzen, mich im Schwertkampf üben, auf meinem Pferd reiten, meinen Schild in der Hand halten und den Spieß werfen. Wenn ich ein Mann bin und meine Braut eine Frau, werden wir weitersehen. Bis dahin werde ich mich nicht wie ein Jupiterpriester benehmen, wenn ich bei meiner Familie bin oder es meine normalen Pflichten als adeliger römischer Junge stört.«
    Dieser Unabhängigkeitserklärung folgte ein langes Schweigen. Die reiferen Familienmitglieder suchten nach einer Antwort. Sie empfanden zum ersten Mal jene Hilflosigkeit, die der verkrüppelte, unfähige Gaius Marius empfunden hatte, als er sich gegen den eisernen Willen des Jungen gestellt hatte. Was war zu tun? überlegte der Vater. Er schrak davor zurück, den Jungen in seine Schlafkammer zu sperren, bis er wieder Vernunft annahm, denn er glaubte nicht, daß diese Behandlung wirken würde. Aurelia war schon fast entschlossen, den Jungen einzusperren, aber sie wußte viel besser als ihr Ehemann, daß dies wirkungslos bleiben würde. Der junge Marius und seine Frau kannten die Wahrheit, deshalb konnten sie dem Jungen nicht böse sein; außerdem waren sie sich ihrer eigenen Unfähigkeit, die Dinge zu wenden, zu sehr bewußt, um ihn auszuschimpfen. Mucia Tertia, die in Ehrfurcht vor der Größe und dem guten Aussehen ihres neuen Mannes erstarrt war, hielt den Blick gesenkt; sie war es nicht gewohnt, daß in einer Familie die Dinge beim Namen genannt wurden. Und die Schwestern des jungen Caesar, die älter waren als er und ihn deshalb seit frühester Jugend kannten, sahen einander nur betreten an.
    Schließlich brach Julia das Schweigen. Sie sagte besänftigend: »Du hast vollkommen recht, mein Junge. Du bist erst dreizehneinhalb. Du kannst nichts Vernünftigeres tun, als gut zu essen und dich ständig zu üben. Schließlich könnte Rom eines Tages auf deine Gesundheit und deine Geschicklichkeit angewiesen sein, auch wenn du Jupiterpriester bist. Sieh dir nur einmal den armen, alten Lucius Merula an. Ich bin sicher, daß er nie damit gerechnet hat, einmal Konsul werden zu müssen. Aber als er es werden mußte, stellte er sich der Aufgabe. Und niemand schätzte ihn deshalb als Priester des Jupiter geringer oder hielt ihn für gottlos.«
    Julia war die älteste der Frauen, sie konnte sich leichter durchsetzen als die anderen — wenn auch nur aus dem Grund, daß sie den Eltern half, eine dauerhafte Verstimmung zwischen ihnen und ihrem schwierigen Sohn zu vermeiden.
    Der junge Caesar aß Weizenbrot aus Sauerteig, Eier, Oliven und Hähnchen, bis sein Hunger gesättigt war. Zufrieden strich er sich über den Bauch. Er war ein guter Esser, aber was er aß, war ihm weniger wichtig. Er hätte es an diesem Abend auch ohne das knusprige Weißbrot aushalten und seinen Hunger mit dem anderen Brot befriedigen können. Aber seine Angehörigen sollten von Anfang an begreifen, wie er zu seinem neuen Amt stand und was er zu tun gedachte. Wenn seine Worte Tante Julia und dem jungen Marius weh taten, so konnte er daran nichts ändern. Der Priester des Jupiter mochte für Roms Schicksal entscheidend sein, aber der junge Caesar hatte sich diese Aufgabe nicht gewünscht. Außerdem ahnte er vage, daß ihn der große Gott für andere Aufgaben vorgesehen hatte, nicht nur dafür, seinen Tempel zu fegen.
    Auch ohne den Streit um das Essen und die Erklärung des jungen Caesar wäre es ein bitteres Festmahl gewesen. So vieles blieb ungesagt, so vieles mußte ungesagt bleiben, um ihrer aller willen. Vielleicht hatte die Offenheit des jungen Caesar die Stimmung sogar gerettet, denn dadurch waren die Gedanken der anderen von den Grausamkeiten und dem Wahnsinn des Gaius Marius abgelenkt worden.
    »Ich bin froh, daß der Tag vorbei ist«, sagte Aurelia zu Caesar, als sie in ihr Schlafzimmer gingen.
    »Ich will keinen solchen Tag mehr erleben«, sagte Caesar aus tiefster Überzeugung.
    Bevor sich Aurelia auszog, setzte sie sich auf die Bettkante und blickte zu ihrem Ehemann auf. Er schien müde — aber er sah immer müde aus. Wie alt war er jetzt? Fast fünfundvierzig. Das Konsulat war bisher an ihm vorübergegangen, denn er war weder ein Marius noch ein Sulla. Als Aurelia ihn jetzt ansah, wurde ihr klar, daß er niemals Konsul

Weitere Kostenlose Bücher