MoR 02 - Eine Krone aus Gras
weniger geschafft.
In einem engen Tal fand Marius ein Zeltlager von Einheimischen, die ihre Schafherden für den Sommer zum Grasen von den Ebenen hier herauf getrieben hatten, und hier ließ er Julia und den kleinen Marius samt den Soldaten zurück. Der junge Grieche aus Tarsos, der Morsimos hieß, bekam den Befehl, für die beiden zu sorgen und sie zu schützen. Ein großzügiges Geldgeschenk sorgte für den guten Willen der Nomaden, und Julia wurde die Besitzerin eines großen braunen Lederzelts.
»Wenn ich mich erst an den Geruch gewöhnt habe, kann ich es hier gut aushalten«, sagte sie zu Marius, bevor dieser weiterreiste. »Im Zelt ist es warm, und ich glaube, einige Nomaden sind schon losgezogen, um mehr Getreide und Vorräte zu holen. Also fort mit dir, und mach dir keine Sorgen um mich oder um den kleinen Marius, der offenbar als Hirtenjunge in die Lehre gehen will. Morsimos wird uns bestens versorgen. Es tut mir nur leid, daß wir eine Last für dich geworden sind.«
Marius machte sich auf den Weg. Er hatte nur zwei seiner persönlichen Sklaven und einen Führer dabei, den ihm Morsimos ausgesucht hatte. Dabei hatte Morsimos ein Gesicht gemacht, als wäre er am liebsten selbst mitgeritten. Nach Marius’ Schätzung lagen die Täler und Hochebenen, durch die er ritt, ungefähr 1700 Meter über dem Meeresspiegel — das war zwar nicht so hoch, daß man Schwindelgefühle und Kopfschmerzen bekam, aber es machte doch das Reiten zu einer Anstrengung. Bis Eusebeia Mazaka war es noch ein weiter Weg. Nach Aussage seines Führers war der Ort die einzige Siedlung in ganz Kappadokien, die man eine Stadt nennen konnte.
Die Sonne ging just in dem Augenblick unter, als die kleine Reisegruppe die Wasserscheide zwischen den Flüssen erklommen hatte, die auf der einen Seite ins kilikische Pedien hinabflossen und auf der anderen Seite in den gewaltigen Halys mündeten. Unvermutet gerieten sie in nasse Graupelschauer und Nebel. Durchgefroren, mit wundgeriebenem Hintern und mit vor Müdigkeit schmerzenden Gliedern ritt Marius hinter dem Führer her. Seine Beine hingen nutzlos herunter, und er war nur froh, daß die Haut auf der Innenseite seiner Oberschenkel so zäh war, daß sie trotz des ewigen Scheuerns nicht in Stücke riß.
Am dritten Tag kam die Sonne wieder heraus. Die breiter werdenden Ebenen schienen sich ausgezeichnet für die Schaf- und Rinderzucht zu eignen, da es viele Wiesen und wenig Wälder gab. Der Führer erzählte Marius, daß Kappadokien nicht den richtigen Boden und das passende Klima für ausgedehnte Wälder habe, daß hier aber guter Weizen wachse, wenn der Boden entsprechend bearbeitet würde.
»Und warum wird er dann nicht bearbeitet?« fragte Marius.
Der Führer zuckte die Achseln. »Nicht genug für diese Menschen. Sie bauen an, was sie brauchen, aber nur wenig mehr. Den Überschuß verkaufen sie dann unten am Halys, wo Händler mit Schiffen warten. In Kilikien können sie ihre Produkte nicht verkaufen, dafür sind die Straßen zu schlecht. Und warum sollten sie auch? Sie haben genug zu essen und sind zufrieden.«
Das war fast das einzige Gespräch, das Marius während des Rittes mit seinem Führer hatte. Auch wenn sie für die Nacht in einem braunen Lederzelt der Nomaden Unterschlupf gefunden hatten oder in einem winzigen Dorf in eine Lehmziegelhütte krochen, redeten sie wenig. Die Berge zogen an ihnen vorüber, einmal näher, dann wieder ferner, aber sie schienen nie kleiner oder weniger grün zu werden oder weniger Schnee auf ihren Gipfeln zu tragen.
Zuletzt verkündete der Führer, daß Mazaka nur noch vierhundert Stadien entfernt sei — was nach Marius Rechnung fünfzig römische Meilen ergab. Sie kamen jetzt in eine so bizarre Gegend, daß Marius wünschte, Julia könnte sie sehen. Die hügeligen Ebenen wurden von gewundenen Schluchten durchzogen, aus denen spitz zulaufende, oben abgerundete Türme aufragten, die aussahen, als seien sie kunstvoll aus vielfarbigem Lehm geformt worden. Man hatte den Eindruck, ein gigantisches Spielzeugland vor sich zu haben, das sich ein verrücktes Riesenkind gebaut hatte.
Manchmal lagen riesige flache Steine in einem so labilen Gleichgewicht auf den dünnen Spitzen der Türme, daß Marius fürchtete, sie müßten jeden Augenblick herunterfallen. Als sie näher kamen, sah er — Wunder über Wunder —, daß einige dieser unnatürlichnatürlichen Gebilde Türen und Fenster hatten!
»Deshalb gibt es hier keine Dörfer«, sagte der Führer. »Es ist
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