MoR 02 - Eine Krone aus Gras
sichtlich unangenehm war. Aber er war zu klug, um sofort hinaufzugehen. Er hat eine Figur, wie ich sie auch einmal hatte, dachte Marius, und er ist so groß wie ich. Der pontische König war nicht schön, hatte aber ein angenehmes, ziemlich großes und kantiges Gesicht. Das Kinn war kräftig und rund, die Nase lang, breit und etwas schief. Er war hellhäutig, und unter dem Löwenkopf sahen goldblonde Haare, ein blonder Bak- kenbart und haselnußbraune Augen hervor. Der kleine Mund mit den vollen, auffällig roten Lippen deutete auf Jähzorn und leichte Erregbarkeit hin.
Hatte der König schon einmal einen Mann in einer toga praetexta gesehen? Marius ließ die Vergangenheit des Königs, soweit er sie kannte, vor sich ablaufen. Er konnte sich an keine Gelegenheit erinnern, bei der der König eine Toga mit Purpurstreifen oder auch nur eine einfache weiße Toga gesehen haben könnte. Der König wußte jedoch offenbar, daß er einen römischen Konsular vor sich hatte, und Marius wußte aus Erfahrung, daß alle, die ein solches Gewand zum ersten Mal sahen, beeindruckt waren, selbst wenn es ihnen vorher schon ausführlich beschrieben worden war. Wo hatte der König einen römischen Konsul gesehen?
König Mithridates Eupator stieg lässigen Schrittes die Stufen hinauf. Oben hielt er seinem Gegenüber die offene rechte Hand hin, auf der ganzen Welt eine Geste des Friedens. Marius ergriff sie. Beide Männer waren zu intelligent, um die Begrüßungsszene zu einem Duell der Stärke zu machen.
»Gaius Marius«, sagte der König. Sein Griechisch klang ähnlich wie das von Marius. »Welch unerwartetes Vergnügen.«
»König Mithridates, ich wollte, ich könnte dasselbe sagen.«
»Komm herein, komm herein!« sagte der König herzlich, legte einen Arm um Marius’ Schultern und schob ihn auf das nun ganz offene Portal des Palastes zu. »Du bist doch hoffentlich mit allen Annehmlichkeiten empfangen worden?«
»Ja, danke.«
Ein Dutzend Männer des Königs eilte vor den beiden in den Thronsaal, ein weiteres Dutzend folgte ihnen. Jeder Winkel des Raumes wurde durchsucht, dann machte sich die eine Hälfte der Leute daran, den Rest des Palastes zu durchsuchen, während die andere Hälfte Mithridates bewachte, der auf den mit roten Kissen belegten Marmorthron zuging und sich darauf setzte. Mit einem Wink ließ er einen Stuhl für Gaius Marius neben sich stellen.
»Sind dir Erfrischungen angeboten worden?« fragte der König.
»Ich habe ein Bad vorgezogen«, antwortete Marius.
»Sollen wir dann vielleicht essen?«
»Wenn du willst. Warum essen wir nicht hier, wenn dir meine Gesellschaft reicht? Es macht mir nichts aus, im Sitzen zu essen.«
Also wurde ein Tisch zwischen die beiden gestellt. Wein wurde gebracht und dann ein einfaches Mahl serviert. Es bestand aus Salatgemüse, Joghurt mit Knoblauch und Gurken und würzigen Bällchen aus gehacktem und gebratenem Lammfleisch. Der König machte sich nicht die Mühe, sich für die Einfachheit des Essens zu entschuldigen, sondern langte heißhungrig zu, und Marius, hungrig von der Reise, stand ihm in nichts nach.
Erst als die Mahlzeit beendet und das Geschirr abgeräumt war, begannen die beiden Männer das Gespräch. Während draußen noch ein indigofarbenes Zwielicht herrschte, war es im Thronsaal bereits vollkommen dunkel. Vor Angst stumme Sklaven krochen wie Schatten von Lampe zu Lampe, und kleine Lichtkreise glühten auf, bis der ganze Raum erhellt war. Die Flämmchen flackerten und rauchten, denn das Öl war von schlechter Qualität.
»Wo ist König Ariarathes?« fragte Marius.
»Tot«, sagte Mithridates. Ein Stück Golddraht diente ihm als Zahnstocher. »Seit zwei Monaten.«
»Wie ist das gesthehen?«
Nun, aus nächster Nähe, sah Marius, daß die Augen des Königs eigentlich grün waren und daß sie nur deshalb braun ausgesehen hatten, weil die Iris ungewöhnliche, ja bemerkenswerte kleine Flecken hatte. Die Augen wandten sich von ihm ab und richteten sich wieder auf ihn. Groß und arglos sahen sie ihn an. Er lügt, dachte Marius.
»Eine unheilbare Krankheit«, sagte der König mit einem tiefen, traurigen Seufzer. »Er starb in diesem Palast, soviel ich weiß. Ich war damals nicht hier.«
»Du hast vor der Stadt eine Schlacht geschlagen«, sagte Marius.
»Das mußte sein«, sagte Mithridates kurz.
»Warum?«
»Ein syrischer Prätendent hat Anspruch auf den Thron erhoben — irgendein seleukidischer Vetter«, sagte der König glatt. »Es gibt eine Menge seleukidischen
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