MoR 03 - Günstlinge der Götter
gelassen wie Zeus auf seinem Stuhl sitzt. Seht ihn euch gut an!«
Cicero wandte sich von Sulla ab und sah die Geschworenen unter zusammengezogenen Augenbrauen scharf an. Selbst in der Toga wirkte der hagere Mann noch wie ein Stock, und doch schien er jetzt zu turmhoher Größe herangewachsen, schien er die Muskeln des Herkules und die Majestät Apollos zu haben.
»Vor einigen Jahren kaufte dieser große Mann einen Sklaven. Er sollte sein Verwalter werden. Ein ausgezeichneter Verwalter, wie sich herausstellte. Als die verstorbene Frau des großen Mannes aus Rom nach Griechenland fliehen mußte, stand der Verwalter ihr mit Trost und Hilfe bei. Er wachte über die Familie des großen Mannes — die Frau, die Kinder, die Enkel und Diener —, während der große Lucius Cornelius Sulla einem Titanen gleich durch die italische Halbinsel zog. Der Verwalter enttäuschte das Vertrauen seines Herrn nicht. Also wurde er freigelassen, und er nahm einen großen Namen an: Lucius Cornelius. Wie es Brauch ist, behielt er als dritten Namen den eigenen: Chrysogonus, der Goldgeborene. Er wurde mit Ehren und Vertrauensbeweisen überhäuft und bekam immer mehr Verantwortung übertragen. Er war nicht mehr nur der freigelassene Verwalter eines großen Mannes, sondern zugleich der Leiter, Verwalter und Ausführende eines Werkes, das zweierlei zum Ziel hatte: Erstens sollten alle Verräter, die Marius, Cinna oder sogar dem schwächlichen Carbo gefolgt waren, ihrer gerechten und gesetzlichen Strafe zugeführt werden. Zweitens sollten Besitz und Ländereien der Verräter dazu dienen, dem verarmten Rom wieder zu Wohlstand zu verhelfen.«
Cicero schritt vor dem Richterstuhl des Marcus Fannius auf und ab. Den linken Arm hatte er erhoben, um die Toga auf seiner linken Schulter festzuhalten, der rechte hing locker herab. Niemand rührte sich. Alle starrten wie gebannt auf ihn und hielten den Atem an.
»Was hat er also getan, dieser Chrysogonus? Während er seinem Herrn und Patron ein unterwürfig lächelndes Gesicht zeigte, sann er auf Rache an allen, die ihn gekränkt oder sich ihm in den Weg gestellt hatten. Durch das Vertrauen seines Herrn gestärkt, griff er im Dunkel der Nacht zur Feder und arbeitete fieberhaft daran, Namen von Leuten, nach deren Besitz er geiferte, in die Liste aufzunehmen. Im Pakt mit Gewürm und Ungeziefer wollte er sich auf Kosten seines Patrons und auf Kosten Roms bereichern. Und wie geschickt er es anstellte, Geschworene! Welche Pläne er ausheckte, welche Winkelzüge er unternahm, um Spuren zu verwischen! Wie er seinem Herrn schmeichelte, wie er ihm schöntat, wie er seine kleine Armee von Gaunern und Kupplern einsetzte und wie umsichtig er dafür sorgte, daß sein edler Herr keinen Verdacht schöpfte! Denn in Wahrheit war es so: Im Besitz von Vertrauen und Macht, mißbrauchte er beides auf die schändlichste, die gemeinste Weise.«
Cicero stiegen Tränen in die Augen. Er schluchzte laut auf, rang die Hände und krümmte sich wie unter schrecklichsten Seelenqualen zusammen. »Ach Lucius Cornelius Sulla, wie soll ich dir in die Augen sehen! Muß ich es sein, ich, ein einfacher Mann vom Land, ein Bauerntölpel und unbedeutender Winkeladvokat? Muß ich es sein, der dir den Schleier von den Augen reißt, der sie dir öffnet für diesen — welches Adjektiv beschreibt am treffendsten diesen Verrat, den dein von dir so geschätzter Klient Lucius Cornelius Chrysogonus an dir begangen hat? Gemeiner Verrat! Abscheulicher Verrat! Gräßlicher Verrat! Kein Adjektiv wird seiner Niedertracht gerecht!«
Er trocknete sich die Tränen ab. »Warum muß ich es sein? Warum kein anderer? Warum nicht der Pontifex Maximus? Ein großer Mann, und überhäuft mit Ehren! Statt dessen fiel das Los auf mich. Ich will dieses Schicksal nicht, und doch muß ich es annehmen. Was, ihr Geschworenen, hätte ich eurer Meinung nach tun sollen? Den großen Lucius Cornelius Sulla schonen, indem ich ihm den Verrat des Chrysogonus verschweige, oder das Leben eines Mannes retten, der des Mordes an seinem Vater angeklagt, aber unschuldig ist? Ja, ihr habt recht! Man darf auch einem berühmten, einem legendären Mann diese Peinlichkeit, diese öffentliche Demütigung nicht ersparen, wenn andernfalls ein Unschuldiger verurteilt würde!« Cicero richtete sich zu seiner vollen, Größe auf. »Geschworene, an euch ist es jetzt, ein gerechtes Urteil zu sprechen.«
Natürlich sprachen die Geschworenen den Angeklagten frei. Als die Menge der Zuschauer sich
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