MoR 03 - Günstlinge der Götter
Freunde sind unvoreingenommener, ihr Verhältnis ist nicht so emotional verzerrt wie das des Sohnes.«
Cicero nickte. Er kam mit seinem Vater nicht gut zurecht.
»Die Freunde setzten sich also zusammen und waren sich einig, daß der alte Roscius nie ein Anhänger Marius’, Cinnas oder Carbos gewesen war. Sie beschlossen, nach Volaterrae zu reiten und bei Sulla vorzusprechen. Sulla sollte die Ächtung widerrufen und Roscius wieder zum Erben einsetzen. Sie trugen Berge von Beweisen zusammen und machten sich dann auf den Weg.«
»War einer der Vettern dabei?« fragte Cicero scharfsinnig.
»Jawohl!« Messala Niger lächelte. »Sie wurden vom ersten Vetter begleitet, der auch noch die Frechheit hatte, die Leitung der Mission zu übernehmen! Der zweite Vetter war bereits nach Volaterrae vorausgeritten, um Chrysogonus zu warnen. Die Abordnung bekam Sulla deshalb nie zu Gesicht. Chrysogonus fing sie ab, nahm das gesamte Beweismaterial an sich und versprach, den Diktator zur Rücknahme der Ächtung zu bewegen. Sie sollten sich keine Sorgen machen, beschwichtigte er sie, alles werde in Ordnung kommen. Roscius könne bald sein Erbe antreten.«
»Wußten sie denn nicht, daß Chrysogonus inzwischen der Eigentümer von zehn der dreizehn Grundstücke war?« fragte Cicero ungläubig.
»Nein, Marcus Tullius.«
»Typisch für unsere Zeit.«
»Leider.«
»Bitte erzähle weiter.«
»Nach zwei Monaten merkten die Freunde des alten Roscius schließlich, daß sie hinters Licht geführt worden waren: Der Befehl zur Aufhebung der Ächtung kam nicht, und sie erfuhren, daß die beiden Vettern auf den beschlagnahmten Besitzungen lebten, als seien sie deren Eigentümer. Nachforschungen brachten ans Licht, daß der erste Vetter drei und Chrysogonus die übrigen zehn Grundstücke besaß. Die Freunde waren bestürzt: Schließlich mußten sie annehmen, daß auch Sulla an dem Komplott beteiligt war.«
»Glaubst du das?« fragte Cicero.
Messala Niger überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Nein, Cicero.«
»Warum nicht?«
»Sulla ist ein skrupelloser Mensch. Ich gebe ehrlich zu, daß er mir angst macht. In jungen Jahren soll er Frauen wegen ihres Geldes umgebracht haben und über ihre Leichen in den Senat gekommen sein. Aber während meiner Militärzeit habe ich ihn kennengelernt — natürlich nur oberflächlich, denn für einen engen Kontakt war mein Rang zu niedrig, aber er war immer irgendwo und mit allem und jedem beschäftigt. Dabei ist mir an ihm eine gewisse aristokratische Ehrenhaftigkeit aufgefallen. Verstehst du, was ich damit meine?«
Cicero fühlte, wie eine leichte Röte in sein Gesicht stieg. Ob er verstand, was der patrizische Adlige Marcus Valerius Messala Niger mit aristokratischer Ehrenhaftigkeit meinte? Natürlich! Keiner verstand das besser als Cicero, ein homo novus, ein Aufsteiger, der Patrizier wie Messala Niger und Sulla glühend beneidete.
»Ich glaube schon«, sagte er.
»Sulla hat seine dunklen Seiten, und wahrscheinlich würde er dich oder mich ohne mit der Wimper zu zucken töten, wenn es in seine Pläne paßte. Aber er hätte für diesen Mord sozusagen patrizische Gründe. Dreizehn Grundstücke am Ufer des Tiber sind nicht genug. Wenn er zufällig günstig beschlagnahmtes Land von Geächteten ersteigern könnte, würde er zugreifen, das ist sicher. Aber ein Komplott schmieden, nur damit er oder ein Freigelassener sich bereichern können? Nein, das glaube ich nicht. Sulla hält auf seine Ehre. Ich sehe das an seinen Gesetzen, die ich für integer halte. Ich bin zwar nicht einverstanden, daß er den Volkstribunen alle Macht genommen hat, aber er hat es legal und öffentlich getan. Er ist ein römischer Patrizier.«
»Dann weiß Sulla also nichts davon«, sagte Cicero nachdenklich.
»Nein, ich glaube nicht.«
»Fahre fort, Marcus Valerius.«
»Etwa um die Zeit, als den Ältesten von Ameria der Verdacht kam, Sulla sei für das Komplott mit verantwortlich, wurde mein Freund Roscius gesprächiger. Es hat lange gedauert, bis der arme Kerl, der monatelang am Boden zerstört war, die Sprache wiederfand, und kaum begann er zu reden, wurden mehrere Anschläge auf sein Leben verübt. Er floh deshalb vor zwei Monaten nach Rom und suchte bei einer Bekannten seines Vaters Zuflucht, bei der Vestalin Metella Balearica, die sich vom Tempeldienst zurückgezogen hat. Du weißt schon, die Schwester von Metellus Nepos. Seine andere Schwester war mit Appius Claudius Pulcher verheiratet und ist bei der Geburt ihres
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