MoR 04 - Caesars Frauen
das Haus der Tullius’ gekommen. Er hatte es vorgezogen, sich als Sklave verkaufen zu lassen, statt in einem armen, finsteren Städtchen zu verkümmern. Ganz unvermeidlich gewann er Ciceros Gunst, denn er war ebenso sensibel und freundlich, wie er als Sekretär tüchtig war — ein Mensch, den man einfach gern haben mußte. Und da Tiro sich außerordentlich rücksichtsvoll und entgegenkommend benahm, konnte nicht einmal der böswilligste unter seinen Mitsklaven ihm unterstellen, er würde sich bei den Herrschaften lieb Kind machen; seine Liebenswürdigkeit übertrug sich auf alle Sklaven des Hauses und sorgte dafür, daß auch sie ihn mochten.
Doch Ciceros Zuneigung zu ihm übertraf die aller anderen. Tiro war nicht nur gut in Griechisch und Latein, er verfügte über einen unglaublichen literarischen Instinkt. Wenn Tiro über einen Satz oder ein bestimmtes Adjektiv die Nase rümpfte, dann dachte sein Herr noch einmal gründlich darüber nach. Tiro beherrschte die Kurzschrift fehlerlos, übertrug sie in saubere, leserliche Handschrift und maßte sich niemals an, eigenmächtig ein Wort zu ersetzen.
Im Jahr von Ciceros Konsulat gehörte dieser vollkommenste aller Hausdiener bereits seit fünf Jahren zur Familie. In Ciceros Testament war er natürlich längst ein freier Mann, aber nach dem normalem Lauf der Dinge würde er noch zehn Jahre Sklave sein, um dann als Freigelassener zu Ciceros Klienten zu gehören. Er bekam jetzt schon einen hohen Lohn, und er war immer der erste, dem eine Erhöhung der stips bewilligt wurde. Und so lief eigentlich alles auf eine einzige Frage hinaus: Was hätte der Haushalt der Tullius’ ohne Tiro machen sollen? Was hätte Cicero ohne ihn machen sollen?
Der zweite auf der Liste war Titus Pomponius Atticus. Diese Freundschaft reichte schon viele Jahre zurück. Sie hatten sich auf dem Forum kennengelernt, als Cicero noch ein junger Wunderknabe war und Atticus für die Übernahme der diversen Geschäfte seines Vaters ausgebildet wurde. Nach dem Tod von Sullas ältestem Sohn (der Ciceros bester Freund gewesen war) nahm Atticus den Platz des jungen Sulla ein, obwohl er vier Jahre älter als Cicero war. Der Familienname Pomponius hatte einen sehr guten Klang, denn die Pomponii waren eigentlich ein Zweig der Caecilii Metelli, und das bedeutete, daß sie aus der besten römischen Gesellschaft stammten. Es bedeutete außerdem, daß eine Karriere im Senat, ja sogar ein Konsulat durchaus möglich gewesen wären, hätte Atticus nur darauf Wert gelegt. Aber Atticus’ Vater war von einem starken Verlangen nach einer Senatskarriere getrieben worden und hatte darunter leiden müssen, daß die Faktionen, von denen Rom in jenen furchtbaren Jahren regiert worden war, ständig gewechselt hatten. Angesichts seiner festen Zugehörigkeit zu den Achtzehn — den achtzehn wichtigsten Zenturien der ersten Klasse — hatte Atticus auf einen Platz im Senat und auf öffentliche Ämter verzichtet. Sein Bestreben war es dagegen, soviel Geld wie möglich zu verdienen und als einer der größten Plutokraten Roms in die Geschichte einzugehen.
In dieser frühen Zeit hatte er sich Titus Pomponius genannt, wie sein Vater, ohne einen dritten Namen zu führen. Während der bewegten Jahre von Cinnas Regentschaft hatten Atticus und Crassus einen Plan entworfen und ein Unternehmen gegründet, mit der Absicht, Steuern und Güter in der Provinz Asia abschöpfen zu können, nachdem Sulla sie Mithridates wieder abgerungen hatte. Das nötige Kapital hatten sie sich bei einer Gruppe von Investoren besorgt. Aber dann mußten sie feststellen, daß Sulla die Verwaltung der Provinz Asia so organisiert hatte, daß es den römischen publicani nicht mehr möglich war, Profite herauszuschlagen. Crassus und Atticus hatten vor ihren Gläubigern fliehen müssen, doch Atticus war es gelungen, sein privates Kapital mitzunehmen, und damit hatte er auch im Exil ein komfortables Leben führen können. Er ließ sich in Athen nieder, und es gefiel ihm dort so gut, daß die Stadt immer den ersten Platz in seinem Herzen behielt.
Es war nicht weiter schwierig, sich mit Sulla zu arrangieren, nachdem dieser bemerkenswerte Mann als Diktator nach Rom zurückgekehrt war; Atticus (wie er sich jetzt nach dem Mutterland seiner Lieblingsstadt Athen nannte) durfte wieder als freier Mann in Rom leben. Eine Zeitlang tat er das auch, aber sein Haus in Athen gab er nicht auf und kehrte regelmäßig dorthin zurück. Außerdem erwarb er riesige Ländereien in
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