MoR 04 - Caesars Frauen
soldatischen Dienst und damit ihre ungeheure Bedeutung für Rom. Und so wurde er zu einem von ihnen, zu ihrem Freund, einem Licht in der Dunkelheit; er war einer von DENEN, jetzt gehörte er zu UNS, dachten sie, und er hat die Möglichkeit, DIE dort im Senat und in der Volksversammlung auf jeden mißlichen Zustand, den er sieht, aufmerksam zu machen. Er war zwar noch jung, fast noch ein Knabe! Aber auch Knaben wurden älter, und mit dreißig würde Publius Clodius die geheiligten Portale des Senats durchschreiten; den cursus honorum würde er so ungehindert hinaufsteigen, wie Wasser über polierten Marmor fließt. Er war schließlich ein Claudier, Mitglied einer Familie, die bislang in jeder Generation seit Bestehen der Republik einen Konsul gestellt hatte. Einer von DENEN. Und doch einer von UNS.
Erst bei seinem fünften Besuch kam Clodius auf das Thema Kriegsbeute und deren Aufteilung zu sprechen.
»Elender Geizhals!« murmelte Clodius vor sich hin.
»Wie?« Silius spitzte die Ohren.
»Mein hochgeschätzer Schwager Lucullus. Treue Soldaten wie eure Männer speist er mit einem Almosen ab. Dreißigtausend Sesterzen pro Mann, und das bei achttausend Talenten, die wir in Tigranokerta gefunden haben!«
»Er hat uns abgespeist?« fragte Cornificius erstaunt. »Er hat immer gesagt, daß er die Beute lieber auf dem Schlachtfeld aufteilt, damit das Schatzamt uns später nicht über den Tisch ziehen kann!«
»Genau das sollt ihr glauben«, sagte Clodius und ließ den Wein über den Becherrand schwappen. »Könnt ihr rechnen?«
»Rechnen?«
»Du weißt schon, subtrahieren und addieren und multiplizieren und dividieren.«
»Ja, ein bißchen«, sagte Silius, um nicht ungebildet zu erscheinen.
»Ja, das ist einer der Vorteile eines Hauslehrers. Als junger Bursche mußt du eine Aufgabe nach der anderen lösen. Und wenn du es nicht schaffst, prügelt man dich windelweich!« Clodius kicherte. »Also habe ich mich hingesetzt und ein bißchen gerechnet. Ich habe die Talente in unsere guten alten römischen Sesterzen umgerechnet, das Ganze dann durch fünfzehntausend dividiert. Und ich kann dir sagen, Marcus Silius, die Männer in deinen beiden Legionen hätten zehnmal soviel kriegen müssen wie die dreißigtausend Sesterzen pro Mann! Mein Herr Schwager, dieser großspurige Schuft — wie ein Wohltäter ist er auf den Marktplatz gekommen, und dabei hat er jeden einzelnen von euch Fimbrianern hintergangen!« Clodius schlug sich mit der Faust in die Handfläche.
Sie glaubten ihm, nicht nur, weil sie ihm glauben wollten, sondern auch, weil er mit ungeheurer Kompetenz zu reden schien, weil er eine Zahlenkolonne nach der anderen vor ihnen abspulte, eine einzige Litanei von Lucullus’ Betrügereien, seit er vor sechs Jahren in den Osten gekommen war, um noch einmal das Kommando über die Fimbrianer zu übernehmen. Wie konnte jemand, der soviel wußte, die Unwahrheit sagen? Und aus welchem Grund hätte er lügen sollen? Silius und Cornificius glaubten ihm.
Der Rest war ein Kinderspiel. Während die Fimbrianer den Winter in Tigranokerta durchfeierten, flüsterte Publius Clodius ihren Zenturios etwas ins Ohr, und die Zenturios flüsterten es ihren Fußsoldaten ins Ohr, und die Fußsoldaten flüsterten es den galatischen Reitern ins Ohr. Einige der Männer hatten Frauen in Amisus zurückgelassen, und als die beiden cilicischen Legionen unter Sornatius und Fabius Hadrianus von Amisus nach Zela marschierten, zogen die Frauen mit ihnen, wie Soldatenfrauen es immer tun. Kaum jemand konnte schreiben, und trotzdem verbreitete sich die Nachricht von Tigranokerta bis nach Pontus: Lucullus hatte die Armee immer wieder um ihren rechtmäßigen Anteil an der Kriegsbeute betrogen. Es machte sich auch niemand die Mühe, Clodius’ Rechenkünste zu überprüfen. Da glaubte man lieber, man sei betrogen worden, winkte doch als Belohnung für eine solche Überzeugung das Zehnfache von dem, was Lucullus einem zugestanden hatte. Und außerdem war Clodius ein hochintelligenter Bursche! So einer verrechnet sich nicht! Nein, Clodius sagte bestimmt die Wahrheit! Der kluge Clodius. Er hatte das Geheimnis der Demagogie begriffen: Erzähl den Leuten, was sie hören wollen, und niemals das, was sie nicht hören wollen.
Lucullus war inzwischen nicht untätig gewesen, trotz seiner Beschäftigung mit kostbaren Handschriften und minderjährigen Mädchen. Er hatte kurze Reisen nach Syrien unternommen und alle verschleppten Griechen wieder nach Hause geschickt.
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