MoR 05 - Rubikon
Klienten standen scharenweise herum, einige Burschen, die geistreiche Bemerkungen von ihm sammelten, standen mit Wachstäfelchen bereit für den Fall, daß er sich äußerte, Bewunderer drängten an ihn heran, sprachen ihn an und spekulierten darüber, was er wohl am nächsten Tag sagen würde. Er beantwortete lächelnd einige Fragen und dachte über eine gute Formulierung nach, die seine Bewunderer auf ihre Tafeln kritzeln konnten. Jedenfalls war es kein guter Zeitpunkt für eine vertrauliche Mitteilung. Doch als Cicero schnaufend die Vestalische Treppe hinaufstieg, drängelte jemand an ihm vorbei und drückte ihm ein Stück Papier in die Hand. Er hätte nicht sagen können, warum er den Brief nicht gleich aufmachte und die Nachricht las. Ein Gefühl.
Erst als er in seinem Arbeitszimmer allein war, öffnete er den Brief und begann zu lesen. Stirnrunzelnd setzte er sich. Die Nachricht kam von Pompeius; er trug ihm auf, sich noch am selben Abend in seiner Villa auf dem Marsfeld einzufinden, und zwar ohne Begleitung. Ein Diener kam und sagte, das Abendessen sei fertig. Da Terentia sich beleidigt zurückgezogen hatte, aß Cicero allein, was ihm an jenem Abend nur recht war. Was wollte Pompeius von ihm? Und warum die Heimlichtuerei?
Nach dem Essen machte er sich auf den Weg zu Pompeius’ Villa. Er ging die kürzeste Strecke, nicht am Forum vorbei, sondern die Treppe des Cacus zum Rindermarkt hinunter und von dort zum Circus Flaminius, hinter dem Pompeius’ Theater, der Sitzungssaal des Senats und Pompeius’ Villa lagen. Er mußte lächeln, als ihm einfiel, daß er die Villa einmal mit dem Beiboot im Schlepptau einer Jacht verglichen hatte; sie war nicht klein, wirkte aber hinter dem Theater winzig.
Pompeius war allein. Er begrüßte Cicero munter und schenkte ihm einen mit frischem Quellwasser verdünnten, hervorragenden Weißwein ein.
»Alles bereit für morgen?« fragte er, nachdem sich beide gesetzt hatten.
»Ich war nie besser vorbereitet, Magnus. Es wird eine wunderbare Rede!«
»Die Milos Unschuld beweist, was?«
»So gut wie, ja.«
»Verstehe.«
Pompeius sagte eine Zeitlang nichts und starrte über Ciceros Schulter auf das Wandtischchen mit den goldenen Trauben, die ihm der Jude Aristobulus geschenkt hatte. Dann sah er Cicero eindringlich an.
»Ich will nicht, daß diese Rede gehalten wird«, sagte er.
Cicero fiel das Kinn herunter. »Was?«
»Ich will nicht, daß diese Rede gehalten wird.«
»Aber... aber... ich muß sie halten! Man hat mir die ganzen drei Stunden für das Plädoyer der Verteidigung gegeben!«
Pompeius stand auf und ging zu der mächtigen, aus Bronze gegossenen Tür, die von seinem Arbeitszimmer in den säulengesäumten Garten führte. Sie war kunstvoll mit Szenen der Schlacht zwischen Lapithen und Zentauren geschmückt, Nachbildungen von Marmorreliefs des Parthenon.
Vor dem linken Türflügel blieb Pompeius stehen. »Ich will nicht, daß diese Rede gehalten wird, Marcus«, sagte er noch einmal.
»Warum nicht?«
»Damit Milo nicht freigesprochen wird«, sagte Pompeius zu einem Zentaur.
Ciceros Gesicht brannte. Er spürte, wie ihm der Schweiß den Nacken hinunterlief, und merkte, daß seine Hände zitterten. Er benetzte seine Lippen. »Ich bitte um eine etwas ausführlichere Erklärung«, sagte er mit all der Würde, die er noch aufbringen konnte. Er preßte die Hände zusammen, um das Zittern zu unterdrücken.
»Ich dachte, das sei klar«, sagte Pompeius in beiläufigem Ton zu den von Adern durchzogenen Hinterbeinen des Zentaurs. »Wenn Milo freigesprochen wird, ist er für mindestens die Hälfte von Rom ein Held. Was bedeutet, daß er nächstes Jahr zum Konsul gewählt wird. Doch Milo mag mich nicht mehr. Er wird mich anklagen, sobald ich mein Imperium niederlege, also in drei Jahren. Als angesehener ehemaliger Konsul wird er viel Macht und Einfluß haben. Ich habe aber keine Lust, den Rest meines Lebens zu tun, was Caesar tun muß — ständig gegen irgendwelche böswilligen Verleumdungen zu prozessieren. Wenn Milo dagegen schuldig gesprochen wird, muß er ins Exil, und von dort kehrt er nicht mehr zurück. Ich wäre also sicher. Deshalb.«
»Aber... aber das kann ich nicht tun, Magnus!« japste Cicero.
»Du kannst es, Cicero, und du wirst es!«
Ciceros Herz raste. Er schloß die Augen und holte einige Male tief Luft. Er war ein ängstlicher Mann, aber er war kein Feigling. Wenn er sich ungerecht behandelt fühlte, konnte er eine erstaunliche Härte entwickeln. Er
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