MoR 05 - Rubikon
einflußreichsten Ritter von Rom, du bist an fast allen Geschäftszweigen beteiligt und warst deshalb eins der Hauptopfer von Clodius. Und jetzt bekommst du Heulkrämpfe, weil er tot ist! Ich bin überglücklich!«
»Niemand sollte sich über den vorzeitigen Verlust eines Claudius Pulcher freuen«, sagte Atticus streng. »Er war der Bruder des Appius Claudius, eines meiner engsten Freunde. Er war ein kluger Kopf und sehr gebildet. Ich werde ihn vermissen, denn ich habe seine Gesellschaft immer genossen. Außerdem tut mir seine arme Frau leid, sie hat ihn leidenschaftlich geliebt.« Atticus’ grobknochiges Gesicht bekam einen wehmütigen Ausdruck. »Eine solche Liebe ist selten, Marcus, und sie verdient es nicht, auf dem Höhepunkt zerstört zu werden.«
»Fulvia?« kreischte Cicero empört. »Diese ordinäre Hure, die die Frechheit besaß, auf dem Forum lauthals für Clodius zu schreien, als sie hochschwanger und dick wie zwei war? Das ist nicht dein Ernst, Titus! Sie mag die Enkelin des Gaius Gracchus sein, aber sie ist eine Schande für das Geschlecht der Sempronier! Und der Fulvier!«
Atticus stand abrupt auf, die Lippen zusammengepreßt. »Manchmal bist du wirklich unerträglich prüde, Cicero! Sieh dich doch an, du kommst aus einem Stall in Arpinum! Du scheinheilige alte Jungfer! Als Gaius Gracchus über das Forum schritt, wohnte noch kein Tullier in Rom!«
Er rauschte aus dem Zimmer, und Cicero sah ihm verdattert nach.
Terentia kam herein. »Was ist denn mit dir los?« blaffte sie. »Und wo ist Atticus?«
»Wahrscheinlich bei Fulvia, um ihr beizustehen.«
»Na ja, er hat sie immer gemocht. Fulvia und die Clodias waren sehr tolerant in bezug auf seine Vorliebe für Knaben.«
»Terentia! Atticus ist verheiratet und hat ein Kind!«
»Was hat das damit zu tun? Du bist wirklich eine alte Jungfer, Cicero!«
Cicero zuckte zusammen, sagte aber nichts.
»Ich muß mit dir sprechen.«
Er zeigte auf die Tür zu seinem Arbeitszimmer. »Da drin?« schlug er kleinlaut vor. »Es sei denn, es ist dir egal, ob jemand mithört.«
»Es ist mir egal. Tullia will sich von Crassipes scheiden lassen.«
»Warum denn das?« rief Cicero verzweifelt.
Terentias häßliches Gesicht wurde noch häßlicher, »Das arme Mädchen ist völlig außer sich! Crassipes behandelt sie wie Hundekot an seinem Stiefel! Wo sind denn die vielversprechenden Anlagen, die er laut dir hat? Er ist ein Faulenzer und ein Idiot!«
Cicero hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und sah seine Frau unglücklich durch die Finger an. »Ich weiß, daß er eine Enttäuschung ist, Terentia, aber nicht du mußt eine weitere Mitgift für Tullia auftreiben, sondern ich! Wenn sie sich von Crassipes scheiden läßt, behält er die Hunderttausende von Sesterzen, die ich ihm für sie gegeben habe, und ich darf noch einmal die gleiche Summe auftreiben! Sie kann schließlich nicht allein leben wie die Clodias! Eine geschiedene Frau ist für Roms Klatschmäuler ein gefundenes Fressen!«
»Ich habe auch nicht gesagt, daß sie allein bleiben will«, deutete Terentia an.
Cicero, der nur an die Mitgift dachte, entging die Andeutung. »Natürlich ist sie ein liebes Mädchen und zum Glück auch attraktiv. Aber wer soll sie heiraten? Wenn sie sich von Crassipes scheiden läßt, hat sie mit fünfundzwanzig schon zwei Ehemänner durchgebracht, ohne ein Kind geboren zu haben!«
»Das ist nicht ihre Schuld«, sagte Terentia. »Piso Frugi war so krank, daß er keine Kraft mehr dazu hatte, bevor er starb, und Crassipes hat kein Interesse an ihr. Tullia braucht einen richtigen Mann!« Terentia schnaubte verächtlich. »Wenn sie einen findet, hat sie jedenfalls in ihrem Leben mehr erreicht als ich!«
Cicero wußte später nicht mehr, warum ihm gerade in diesem Augenblick ein Name einfiel: Tiberius Claudius Nero, Sproß eines Patriziergeschlechts, ein reicher Mann — und ein richtiger Mann.
Seine Miene hellte sich auf, Atticus und Fulvia waren vergessen. »Ich weiß einen!« sagte er freudestrahlend. »Einen, der reich genug ist, um auf eine große Mitgift verzichten zu können. Tiberius Claudius Nero!«
Terentia riß den Mund auf. »Nero?«
»Ja, Nero. Er ist noch jung, aber er wird eines Tages Konsul sein.«
»Brrr!« knurrte Terentia und marschierte hinaus.
Cicero sah ihr verwirrt nach. Was war heute mit ihr los? Niemandem konnte er es recht machen. Daran war nur Publius Clodius schuld!
»An allem ist Clodius schuld!« sagte er denn auch zu Marcus Caelius Rufus, als
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