Morag und der magische Kristall
im Licht des Auges von Lornish. Ohne den Blick von Bertie zu wenden, stimmte Mephista einen leisen Singsang an. Alle sahen voller Entsetzen zu, wie Devlishs Tochter einen Zauber sprach.
»Lauft!«, schrie Morag, als Mephista den Zauberstab höher hielt. Alle begannen, auf der Suche nach einem Fluchtweg durch den runden Raum zu laufen, aber es gab keinen Ausweg außer der Tür, die Mephista blockierte.
Die Lady, tief versunken in das Weben ihres Zaubers, hob die Arme gen Himmel und stieß dann einen lauten Schrei aus, bevor sie den Zauberstab wieder sinken ließ und ihn auf Bertie richtete. Der Vogel kreischte auf und versuchte, sich hinter dem Kristall zu verstecken, aber er war nicht schnell genug. Ein Lichtblitz schoss aus dem Zauberstab und versengte den kurzen gefiederten Schwanz des Dodos. Mit einem schrillen Schrei, der Tote hätte wecken können, sprang Bertie hoch in die Luft. Er landete mit einem Plumps auf dem Boden, rappelte sich hoch und rannte, immer noch laut schreiend, mit brennendem Hinterteil durch den Raum.
Als Morag sah, was geschehen war, handelte sie sofort. Sie stürzte sich auf den Dodo und begann, mit bloßen Händen die Flammen auszuschlagen. Ohne auf die brennende Hitze zu achten, ließ sie ihre Hände wieder und wieder auf den Schwanz klatschen, bis von Berties Kehrseite nur mehr ein dünnes Rauchfähnchen aufstieg. Der Dodo betrachtete sein Hinterteil und brach in Tränen aus. Wo zuvor weiches weißes Gefieder gewesen war, war jetzt nur noch ein Stummel schwelender Federn. Morag legte die Arme um seine zitternden Schultern.
»Na, na, sie werden nachwachsen«, versicherte sie ihm, aber der kleine graue Vogel war untröstlich und heulte nur umso lauter.
Mephista kicherte über ihre Tat und warf den Kopf in den Nacken. Ein grausames, höhnisches Lachen ließ ihr langes rotes Haar hin und her wogen und im Licht schimmern. »So viel Spaß habe ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gehabt!«, rief sie. »Also, wer will als Nächstes an die Reihe kommen?« Sie ließ den Blick durch den Raum wandern und schaute von dem Drachen zu dem Mann, dann zu der Ratte und zu dem kleinen Mädchen. Eine ihrer Mägde hatte diesen Kreaturen geholfen? Einer ihrer Dienstboten? Mephistas Gesicht verzerrte sich zu einer boshaften Grimmasse.
Als sie abermals ihren Zauberstab hob, rannten Kyle und Aldiss zu Morag hinüber, aber Mephista war zu schnell für sie. Sie begriff, was die beiden vorhatten, und schuf mit ihrem Zauberstab ein unsichtbares Seil, das sich so eng um Kyle und Aldiss wand, dass die beiden kaum noch atmen konnten. Trotz größter Anstrengungen gelang es ihnen nicht, sich zu befreien. Sie riefen Mephista zu, dass sie sie gehen lassen solle, aber die Lady dachte gar nicht daran. Stattdessen belegte sie sie mit einem Schweigezauber, der ihnen auch noch die Worte in der Kehle stecken bleiben ließ. Wie sehr sie auch riefen oder schrien, kein Laut drang aus ihrem Mund.
Als Shona sah, was mit ihren Freunden geschah, begann sie, zu knurren und mit den Kiefern zu schnappen. Fauchend bewegte sie sich auf die Hexe zu wie eine Katze , die sich gleich auf ihr Opfer stürzen würde. Statt Mephista aus der Ruhe zu bringen, führte Shonas Knurren nur dazu, dass sie noch heftiger lachte.
Mit einem Schnippen ihres Zauberstabs wurde die Drachenfrau so hoch in die Luft gehoben, dass ihr großer grüner Kopf gegen die Holzdecke stieß. Eine weitere Drehung ließ Shona auf den Boden plumpsen. Die Drachenfrau war atemlos, aber nicht betäubt und sie rappelte sich wieder hoch und fauchte umso lauter. Mephista warf sie lässig noch einige Male auf und ab, um ihr eine Lektion zu erteilen. Sie ließ den Drachen mit solcher Wucht herunterkrachen, dass die arme Shona schließlich das Bewusstsein verlor.
Morag konnte von ihrem Platz auf dem Boden neben dem zitternden Bertie nur entsetzt beobachten, was geschah. Sie war außerstande, sich zu bewegen; ihre Beine fühlten sich an wie Wackelpudding und ihre Kehle war trocken. Sie spürte noch nicht einmal die Brandwunden an ihren Händen, die sie durch das Löschen von Berties Schwanz erlitten hatte. Wie gebannt starrte sie auf Mephista und den Zauberstab. Es war Henry, der sie, versteckt unter ihrer Kleidung, plötzlich in die Wirklichkeit zurückholte.
»Schnapp dir den Kristall!«, zischte er. »Morag! Komm wieder zu dir, Mädchen! Lauf und hol den Kristall, das ist die einzige Möglichkeit, sie zu besiegen!«
»Was?« Morag erwachte aus ihrem tranceähnlichen Zustand.
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