Morag und der magische Kristall
»Ich kann die Köchin nicht ausstehen und sie mag mich ebenso wenig.«
»Ich auch nicht«, stimmte ihm der erste Wachmann zu. »Sie hat mich neulich einen riesigen Idioten genannt, nur weil ich um ein Glas Limonade gebeten habe.« Er wandte sich wieder an Morag und Kyle, eine mächtige Falte zwischen den Brauen. »Bist du sicher, dass sie die Suppe geschickt hat?«
Morag nickte. »Ja, Sir«, sagte sie hastig. »Sie meinte, sie wolle netter zu allen sein.«
»Das hat sie gesagt?«, fragte der erste Wachmann, während er sich mit einer Riesenhand das stoppelige Kinn rieb. Er beugte sich vor und betrachtete die Suppe näher. Sie sah köstlich aus. Er schnupperte. Sie roch köstlich. Es würde noch eine Ewigkeit dauern, bis sie etwas zu essen bekamen, und es wurde immer kälter. Er konnte etwas Heißes gut gebrauchen, um sich aufzuwärmen. Also griff er nach einer Schale und einem Löffel und begann zu essen.
»Wie schmeckt die Suppe denn, Sid?«, fragte der zweite Wachmann und leckte sich die Lippen.
»Köstlich, Ken«, antwortete der erste.
»Haut rein, bevor sie kalt wird«, riet Kyle den beiden. Der zweite Wachmann tat wie geheißen und schon bald löffelte auch er Suppe in seinen großen Mund.
»Dürfen wir Ihren Kollegen auch Suppe bringen?«, fragte Kyle.
Der erste Wachmann gähnte und rieb sich die Augen.
»Wir sollen eigentlich niemanden hineinlassen«, entgegnete er und unterzog sie einer gründlichen Musterung. »Aber da ihr so großzügig seid, dürft ihr passieren.« Er wandte sich an den anderen Wachmann. »Weißt du, nach einem guten Essen ist mir immer nach einem kleinen Schläfchen.«
»Mir auch, Sid«, pflichtete Ken ihm bei, und um seine Worte zu unterstreichen, gähnte er laut.
»Ich denke, ich werde mich einfach für ein kleines Weilchen hier hinsetzen«, meinte Sid und ließ sich nieder, »und für fünf Minuten meine Beine ausruhen.«
»Ich auch«, sagte Ken und ließ sich neben ihn auf den Boden sinken. Beide Männer lehnten sich an den Türrahmen und waren schon bald fest eingeschlafen. Morag sah Kyle erstaunt an. Sein Plan funktionierte.
»Lasst uns weitermachen«, sagte Kyle. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Er pfiff und Bertie, Aldiss und Shona sprangen aus der Dunkelheit. Shona drückte die schwere Metalltür für Morag und Kyle auf. Während die Tiere im Eingang warteten, verteilten Morag und Kyle den Rest der Suppe an die vier Wachen im Turm, und es dauerte nicht lange, da erschien Morag wieder in der Tür.
»Lasst uns gehen«, sagte sie.
Im Innern wurde der Turm von Fackeln erhellt. Der erste Raum war rund und beherbergte zwei große Tische, an denen zwei in sich zusammengesunkene Wachen saßen. Sie schnarchten laut, als die Freunde auf Zehenspitzen zu einem Treppenhaus im hinteren Teil des Turmes schlichen. Behutsam erklommen sie die schmale Wendeltreppe und gingen rund und rund und rund, bis ihnen allen ganz schwindlig war. Zu guter Letzt kamen sie zu einem Treppenabsatz, auf dem zwei weitere Wachen lagen, leere Suppenteller zu ihren Füßen, und ihr Schnarchen hallte donnernd durch den Gang.
»Wohin jetzt?«, fragte Shona.
»Noch höher hinauf«, sagte Kyle und deutete auf eine weitere Treppenflucht hinter den Wachen.
Und so setzten sie ihren Marsch fort. Morags Beine schmerzten, während sie noch eine Stufe hinaufstieg und noch eine und noch eine. Als sie endlich den obersten Treppenabsatz erreicht hatten, war sie vollkommen erschöpft. Ihre Beine waren wackelig und taten weh, und sie musste sich für einen Moment auf eine Stufe setzen, um wieder zu Atem zu kommen. Ihre Freunde befanden sich alle in einem ähnlichen Zustand.
Vor ihnen erstreckte sich ein kleiner, schäbiger Flur mit zwei identischen Türen, die wer weiß wohin führten.
Morag sah ihre Freunde ängstlich an.
Was jetzt?, sagten ihre Gesichter.
Kapitel 18
»Welche von beiden?«, fragte Bertie Morag, während die fünf Freunde die Türen betrachteten. »Hat Chelsea etwas darüber gesagt?«
»Nein.« Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, welche die richtige ist.«
Sie standen in dem schmalen Flur und starrten die Türen an, als würden sie dadurch offenbaren, was hinter ihnen lag. Die mit Messinggriffen beschlagenen Türen sahen genau gleich aus. Sie waren mit einem Rundbogen versehen wie Kirchenportale und aus dunklem, poliertem Holz mit reich verzierten Bronzetafeln. Aber welche sollten sie öffnen? Was, wenn sie eine öffneten und entfesselten, was immer dahinter eingesperrt
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