Morbus Dei: Die Ankunft: Roman (German Edition)
Männer kehrten wieder in die Schenke zurück.
Gottfried stand am Ende des Dorfes Wache und fror im schneidenden Wind. Bis nach Mitternacht musste er hier noch ausharren, um dann vielleicht ein paar Stunden Schlaf zu ergattern. Vor dem Strafzug. Einer völlig sinnlosen Aktion, dessen war er sich sicher, und er war nicht der einzige in seiner Einheit, der so darüber dachte. Sollten die verfluchten Tyroler ihre Probleme doch alleine bewältigen.
Hatte es nicht gereicht, dass sie hier einmarschieren mussten, um des Churfürst Ehre?
Hatte es nicht gereicht, dass sie fast vollständig aufgerieben wurden, weil sie in einem Gelände kämpfen mussten, das ihnen nicht vertraut war?
Und hatte es nicht gereicht, dass sie nun auch noch hier überwintern mussten, in diesem düsteren Tal, in dem der Aberglaube jegliche Vernunft bezwang?
Das Geräusch von Schritten riss Gottfried aus seinen finsteren Gedanken.
Sophie näherte sich ihm zögernd und stellte sich dann neben ihn.
Eine Zeit lang sagte keiner der beiden ein Wort, sie teilten das Sausen des Windes und den Blick auf die Nebelwand, die durch das Tal unaufhaltsam auf sie zukam.
„Die anderen werden dich sehen, Sophie“, begann Gottfried.
„Ist mir egal“, gab sie kurz von sich. „War’s mir immer schon.“
Das Auf- und Abbrausen des Windes überbrückte die Stille, gaukelte ihnen vor, sie wären die einzigen Menschen auf Gottes Erde.
„Ich versteh, wenn du jetzt deine Meinung über mich geändert hast“, brachte Gottfried zögernd hervor. Sophie überlegte eine Weile.
„War ja nicht deine Schuld, hast ja auch keine Wahl. Niemand hat eine.“
„Mein Versprechen steht noch. Ich weiß, dass wir uns eigentlich gar nicht kennen, aber –“
„Dafür haben wir dann noch genug Zeit. Wenn du nur heil wieder zu mir zurückkommst.“
Gottfried griff ihre Hand. „Das werd ich. Der Strafzug kann auch nicht schlimmer sein als das, was ich hinter mir hab. Außerdem hat mich der Herrgott doch nicht umsonst hierhergeführt. Zu dir. Und ich versprech, dass ich immer für dich da sein werd.“
Die Nebelwand hatte sie erreicht und vollständig eingehüllt. Sophie gab Gottfried einen zärtlichen Kuss auf den Mund. „Dann hast mich ab jetzt am Hals, du bayerischer Depp. Hier hält mich nichts mehr.“
Gottfried sah sie mit freudestrahlenden Augen an. „Du weißt ja nicht, wie glücklich du mich damit machst.“
Sophie drückte ihn fest an sich, dann löste sie sich von ihm. „Ich muss wieder zurück zum Hof. Wir sehen uns morgen.“ Sie eilte davon.
Gottfried sah ihr nach, dann lächelte er. Es gab wieder eine Zukunft für ihn.
XXX
Die Sonne war untergegangen und ließ ein trübes Zwielicht zurück, aus dem die kleine Kirche in den Himmel ragte. Es war ein seltsames Bild, gerade so, als ob sich das Gotteshaus wie ein belehrender Fingerzeig zu seinem Schöpfer streckte.
In der Sakristei waren die meisten Kerzen kegelförmig zerflossen. Die rußigen Flammen flackerten im Wind, der durch die Ritzen des Fensterrahmens eindrang. Weihrauch verströmte seinen markanten Geruch.
In der Mitte der Sakristei kniete Kajetan Bichter, über seine Bibel gebeugt, auf dem Holzscheit. Hastig blätterte er zwischen einzelnen Passagen hin und her und murmelte die Verse mit. Seine Stirn war in Falten gelegt, er wirkte verängstigt und unschlüssig. Kein Wunder – die Zeit für eine Entscheidung war gekommen, eine Entscheidung, der er ein Leben lang ausgewichen war.
Aber wie sollte man auch eine Tat beurteilen, die rechtens erscheint, aber nicht denen widerfährt, die einen zeitlebens rechtens behandelt hatten? Wenn die Zeit alle Wunden zu heilen vermag, dann war jetzt der Augenblick gekommen, sich diese Wunde zuzufügen.
Ohne Deine Führung, o Herr, sind wir alle verloren und werden in Finsternis darben, ob unserer Taten. In ewiger Finsternis
.
In Finsternis darben.
Ewige Finsternis.
Der Pfarrer schloss die schwere Bibel mit einem dumpfen Knall, und für einen Moment entfaltete sich der süßliche Geruch alten Papiers wie ein Feuerpilz.
Bichter atmete tief ein, senkte den Kopf und versuchte in sich hineinzuhören. Die Keilseite des Holzscheits grub sich tief in seine Knie, von denen bereits ein taubes Gefühl ausging.
Wie soll ich entscheiden, Herr? Was wird bleiben, wenn ich den falschen Weg wähle? Bin ich bereits so geblendet, dass ich ihn nicht mehr zu erkennen imstande bin?
Schmerz reinigt den Verstand
.
Bichter öffnete seine Kutte und ließ sie zu Boden gleiten.
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