Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
„Grundgütiger. Ist mein Herr einfach gegangen und hat Sie alle unbewacht gelassen? Vermutlich hat er Crippen ebenfalls weggeschickt oder ihn zur Ausstellung mitgenommen. Der Mann ist natürlich brillant, aber er hat keinerlei Gespür für die praktischen Dinge. Er wusste, dass er selbst nicht aus dem Käfig entkommen könnte, deshalb nahm er an, dass Sie es ebenso wenig könnten.“
„Ich habe eben eine Bemerkung darüber gemacht“, sagte Ben. „Eine Schande, dass all ihre Pläne an solch einer dämlichen Kleinigkeit scheitern.“
Carrington schmunzelte. „Du lieber großer Affe, du hast keine Ahnung von unseren Plänen. Sie lassen sich nicht so leicht durchkreuzen.“
„Da wir gerade von diesen Plänen sprechen“, meinte Pimm, „mir fällt auf, dass ich dazu einige Fragen habe.“
„Oh, gewiss haben Sie das. Oswald hat sich so geziert, was seine Endziele betraf, nicht wahr? Wie es Sie wahnsinnig machen muss, so unwissend zu sein, so ewig uneingeweiht!“ Er bemerkte erstmals die Königin. „Oh, Sie haben unseren Freund Victor aus seinem Käfig gelassen. Er heißt jetzt Victor, nicht wahr? Wie auch sonst? Er ist ein wenig herrschsüchtig, aber das ist nichts Ernstes, bloß seine Art.“
„Bitte achten Sie nur auf mich“, sagte Pimm. „Ich habe Fragen an Sie. Sie werden Sie mir beantworten.“
„Ich wüsste nicht, warum“, meinte Carrington. „Sie kommen mir kaum wie jemand vor, der andere foltert, Lord Pembroke. Verzeihen Sie, dass ich das sage. Sie sind ganz einfach viel zu gutmütig dazu. Tatsächlich bezweifle ich, dass Sie auch nur Ihren großen Ochsen von einem Leibwächter auf mich ansetzen würden.“
„Oh, er wird Sie nicht foltern“, sagte Freddy, die hinter Carrington stand und sich hinunter neigte, um genau in sein Ohr zu sprechen. Zu sehen, wie das Lächeln des Sekretärs ihm um eine Haaresbreite entglitt, erfüllte Ellie mit Befriedigung.
„Pimm wird Ihre Majestät, Miss Skye und sogar Big Ben mitnehmen und mit ihnen einen angenehmen kleinen Spaziergang über das Gelände machen. So haben Sie und ich ein wenig Zeit zu zweit. Merkwürdigerweise kümmert es mich ganz und gar nicht, was sie zu erzählen haben. Selbst eine Flut von Geständnissen würde mich nicht dazu bewegen, das, was ich mit Ihnen vorhabe, zu unterbrechen. Der einzige Weg, ein solche Tête-à-Tête mit mir zu vermeiden, wäre …“
„In Ordnung!“, sagte Carrington. „Ich habe Sie alle doch nur ein wenig aufgezogen. Ich habe nichts dagegen, Ihnen zu erzählen, was mein Herr geplant hat. Weshalb sollte es noch eine Rolle spielen? Einer Kuh auf dem Schlachthof können Sie auch erzählen, dass man sie essen wird, aber das Vorwissen ändert nichts an ihrem Schicksal.“
„Dann erzählen Sie es uns“, meinte Pimm. „Rasch, bitte.“
„Ein Schluck Wasser würde nicht schaden. Ich habe Ihnen diese Gefälligkeit schließlich auch erwiesen, als Sie eingesperrt waren. Sünden zu beichten, macht durstig.“
Ellie brachte Pimm eine Tasse, und er hielt sie Carrington an die Lippen, während dieser trank. Carrington schmatzte genüsslich. „Oh, herrlich, herrlich. Nun denn. Ich soll es Ihnen rasch erzählen, meinen Sie, aber wie immer gibt es auch eine Rahmengeschichte, die Sie kennen sollten. Sie erinnern sich gewiss noch an den Kristallpalast, der für die Weltausstellung errichtet wurde?“
„Natürlich“, sagte Ellie.
„Na, sehen Sie. Dieses große Glasgebäude fand mein Herr überaus beeindruckend. Fast ein Quadratkilometer, umschlossen von einer großartigen Konstruktion aus Schmiedeeisen und Glas. Tonnen an Material, doch im Ergebnis leichter als eine Feder! Mein Herr wurde in einer Lehmhütte geboren, vor sehr viel längerer Zeit, als Sie für möglich halten oder er zugeben würde. Eine Konstruktion von solchem Ausmaß zu sehen, hat immer eine gewaltige Wirkung auf ihn.“
„Wir haben nicht ewig Zeit“, erinnerte ihn Pimm.
„Sie haben kein Gefühl für Romantik“, meinte Carrington. „Nun gut, kurz gesagt: Oswald will ganz London sowie einen Großteil der Ackerbaugebiete mit einer Konstruktion umschließen, die dem Kristallpalast ähnelt, aber aus moderneren Materialien hergestellt wird. Sein Ziel ist es, aus der gesamten Stadt eine Art Gewächshaus zu machen. Oder besser gesagt, eine Experimentierkammer, deren Ein- und Ausgänge allesamt von Sir Bertram kontrolliert werden. Ihm schwebt ein System vor, das vollständig von der Außenwelt abgeriegelt ist. Er allein könnte es nach Belieben
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