Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Schreibtischs durch. Er fand nicht viel, das von Interesse gewesen wäre. Bis ihm auffiel, dass bei einer Schublade die Unterseite gut fünf Zentimeter höher saß, als sie sitzen sollte.
„Hier ist etwas versteckt“, sagte er. „Die Leute halten sich immer für sehr klug, wenn sie solche Verstecke benutzen. In gewisser Hinsicht sind sie das wohl auch, aber jeder ist dabei auf dieselbe Art klug, was die Sache berechenbar macht. Schlussendlich ist Berechenbarkeit manchmal dasselbe wie Dummheit.“ Pimm durchwühlte die oberste Schreibtischschublade, bis er einen metallenen Brieföffner fand. Ellie sah zu, wie er die Spitze des Brieföffners in den Spalt vor dem falschen Boden klemmte und ihn aushebelte, sodass darunter ein kleines Fach zum Vorschein kam. Darin lag ein großes Buch mit rotem Lederumschlag. Pimm zog das Buch heraus und schlug es an einer zufälligen Stelle auf. Die Seiten waren eng mit brauner Tinte beschrieben.
„Eine Geheimschrift“, meinte Pimm, nachdem er sich das Buch kurz angesehen hatte.
„So etwas Ähnliches“, sagte Ellie. Sie folgte mit dem Finger einer Zeile von rechts nach links. „Es ist Spiegelschrift, sehen Sie? Jeder Buchstabe ist verkehrt herum, und jedes Wort und jeder Satz ist rückwärts geschrieben. So hat auch Leonardo da Vinci seine Tagebücher geführt.“
„Ich bin sicher, die Ähnlichkeit zu Leonardo ist auch unserem Sir Bertram nicht entgangen“, sagte Pimm. „Er neigt dazu, sich in eine Reihe mit Genies zu stellen. Fürwahr, es hat fast den Anschein, als seien Newton und Galileo in seinen Augen blutige Anfänger.“
„Es wäre leichter zu lesen, wenn wir einen Spiegel hätten“, sagte Ellie, „aber in diesem Abschnitt hier scheint es um die Katastrophe in Whitechapel zu gehen, sehen Sie? Hier, das Datum passt, und darunter steht viel Geschwätz über violette Kristalle.“
Sie blätterten weiter das Tagebuch durch, und als Nächstes war Pimm derjenige, der mit dem Finger auf eine Textstelle tippte. „Hier, die ‚Große Verwandlung‘, das ist Morbus Konstantin. Sehen Sie, er erzählt alles darüber, da steht Mabel Worths Name.“ Er rieb sich die Augen. „Meine Augen sind nicht dafür gemacht, rückwärts zu lesen. Vorwärts zu lesen, fällt mir meist schon schwer genug.“
„Das ist ein eindeutiger Beweis für seine Verbrechen“, sagte Ellie. „Wenn wir Glück haben, hat er auch etwas darüber geschrieben, wie er die Königin vergiften und austauschen will.
Pimm nickte. „Das hoffe ich. Es würde dem Gefangenen dort unten helfen, wieder als Monarchin erkannt zu werden. Vorausgesetzt, wir können sie davon abhalten, in den Palast zu marschieren und augenblicklich ihre vollen Ehren zurückzuverlangen.“
„Wir sind kein Narr, Lord Pembroke“, sagte die Königin streng. Sie stand im Eingang zum Büro. „Uns ist klar, dass es Widerstand geben wird, doch Wir haben treue Freunde am Hof, die sich von unserer rein äußerlichen Veränderung nicht täuschen lassen werden. Außerdem gibt es Dinge, die nur die Monarchin und wenige Eingeweihte im Reich wissen, mit denen Wir Unseren Anspruch belegen können. Wir sind zuversichtlich, dass wir Unseren Rang zurückerlangen werden, wenn wir diejenigen erreichen können, deren Vertrauen wir dafür benötigen.“
„Der Premierminister und die anderen Kabinettsmitglieder werden vermutlich auf der Ausstellung heute Abend sein“, sagte Freddy, die hinter der Königin stand. „Gemeinsam mit dem Ding, das Oswald als die Königin ausgeben will. Sir Bertram – verzeiht, Eure Majestät, ich meine natürlich Mr. Oswald – wird ebenfalls dort sein. Wir sollten der Ausstellung einen Besuch abstatten, meint ihr nicht?“
„Oh ja“, sagte Pimm. „Aber lasst uns zunächst mit Mr. Carrington sprechen und hören, was er uns über Mr. Oswalds Pläne erzählen kann.“
Ein Mund voll Blut
V or dem Käfig, in den man sie gesperrt hatte, banden sie Carrington an seinem eigenen Stuhl neben der alchemistischen Lampe fest. Ellie wollte nicht unbedingt, dass jemand gefoltert wurde, doch wenn jemandem schon schlimme Dinge zugefügt werden sollten, war Carrington ein annehmbarer Kandidat.
Pimm setzte sich ein Stück von Carrington entfernt auf einen anderen Stuhl, den sie aus dem Büro mitgebracht hatten. Er nickte Ben zu, und dieser schüttete einen Eimer Wasser über Carringtons Kopf aus.
Carrington schnappte nach Luft und blickte wild um sich, dann seufzte er, während ihm Wasser das Gesicht herunter rann.
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