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Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: T. Aaron Payton
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sondern fast sittsam, wie eine schlafende Frau, und sie musste sich ebenso schlafend stellen. Sie streckte sich auf der Tagesdecke aus, in der Hoffnung, dass die Bettwäsche zwischen den Besuchen gewaschen wurde, obwohl sie ahnte, dass dem nicht so war. Dann legte sie den Kopf aufs Kissen. Offene oder geschlossene Augen? Sie entschied sich für einen schläfrigen Blick und halbgeschlossene Augen, sodass sie weiterhin die Tür beobachten konnte. Die mechanischen Frauen schienen zu atmen und sich sogar zu bewegen, Imitation der Lebenden – jetzt musste sie deren Imitation imitieren. Zum Glück war die alchemistische Lampe auf der Kommode relativ schwach.
    Während sie darauf wartete, dass man sie fand, dachte sie darüber nach, wie viel von dem Erlebten sie in ihrem Artikel verarbeiten konnte. Herzlich wenig, wenn Cooper weiterhin darauf bestand, einen „Gentleman“ als Verfasser anzugeben. Er würde mehr Zeitungen verkaufen, wenn er zugab, dass eine Frau die Reportage gemacht hatte, aber er würde damit auch riskieren, dass man ihn im Parlament anschwärzte. Die Geschichte stieß ohnehin an die Grenzen des Schicklichen. Vielleicht sollte sie einen Roman daraus machen.
    Nimm dich zusammen, Eleanor, schalt sie sich. In Zeiten großer Anspannung neigte sie dazu, gedanklich in alle Richtungen abzudriften. Sie dachte dann über allerlei Dinge nach, nur nicht über das konkrete Problem. Als sie damals erfahren hatte, dass David in Indien umgekommen war, hatten ihre Gedanken sich von allein praktischen Angelegenheiten zugewandt: Wie sie seiner Familie bei den Beerdigungsvorbereitungen helfen konnte, die Schwierigkeit, ihm eine angemessene Beerdigung zu bereiten, obwohl sie seine sterblichen Überreste nicht wiederbekommen konnten, wie sie seine Mutter und seine Schwestern am besten unterstützen konnte, und so fort. Erst Wochen nach dem Trauergottesdienst hatte der Schmerz sie schließlich eingeholt. Der plötzliche Verlust war über sie hereingebrochen, und mitten im Laden der Hutmacherin hatten ihr die Knie versagt. Die Verkäuferin hatte gedacht, Ellie sei in Ohnmacht gefallen. Leider nein, sie war die ganze Zeit bei vollem Bewusstsein gewesen. Das war genau das Problem. Wer von starken Gefühlen überwältigt in Ohnmacht fiel, hatte Glück. Ellie war wach und erlebte alles mit.
    Die Tür ging auf, und sie zwang sich, still zu liegen. Ihre Konkubine hatte nicht reagiert, bis sie sie angefasst hatte. Sie wusste also, dass auch sie nicht reagieren brauchte, als ein hohlwangiger Mann in einem schlecht sitzenden Anzug eintrat – „Crippler“ Crippen.
    Crippen sah hinter die Gardinen, schenkte Ellie aber nicht mehr Beachtung als einer Ziervase oder einer Ottomane. Er ging in die Hocke und sah unters Bett. Ellie verkrampfte sich, weil sie fürchtete, er werde die Männerkleider und den falschen Schnurbart entdecken und seine Schlüsse ziehen. Doch anscheinend war ein Haufen weggeworfener Kleider in diesem Haus kein Grund zur Aufregung, denn er stand wieder auf und wandte sich zur Tür.
    Dann hielt er inne, sah auf Ellie herab und grunzte.
    Sie gab sich alle Mühe, ruhig liegen zu bleiben und nicht zu blinzeln. Crippen beugte sich über sie und begaffte sie ungeniert. Warum auch nicht? Sie war eine Maschine, sie hatte weder Würde noch Anstand, die man schützen musste. Das war ja gerade der Sinn des Ganzen. Trotzdem bekam sie unter seinem Blick eine Gänsehaut, und noch viel schlimmer wurde es, als er eine Hand nach ihrer Brust ausstreckte.
    „Aber, aber, jetzt ist doch keine Zeit, um mit den Puppen zu spielen“, sagte eine barsche Stimme aus dem Flur. „Ich habe alle Zimmer auf der anderen Seite durchsucht, aber der Kerl ist nirgends zu finden. Er muss an den mechanischen Flittchen vorbeigehuscht sein, ehe wir oben waren. Der Alte wird stinkwütend sein, so viel ist sicher.“
    „Wen kümmert’s überhaupt, ob irgendein feiner Pinkel in ’ner Gummipuppe rumstochert?“ Crippen stieß Ellie seinen Zeigefinger in die Rippen, um das Gesagte zu veranschaulichen, und sie biss sich in die Backe, um ja nicht aufzuschreien.
    „Wie, das weißt du nicht? Der Mann mit den komischen Schutzbrillen ist nicht irgendein Ritter der Königin, Crippler. Sie leiht ihm ihr Ohr.“
    „Ha. Leiht sie ihm sonst noch was?“, sagte Crippen. „Irgendwelche Körperteile? Vielleicht kommt er hierher, weil Vicky es nicht schafft, ihn …“
    Zu Ellies Überraschung kam der Mann zu Crippen herüber und zischte lauernd: „Sachte, Kumpel. Zieh
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