Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
dass er zu viel getrunken oder Laudanum genommen hatte. Tatsächlich konnte ich nur sehr wenig von unserem Gespräch für meinen Artikel verwenden. Sehen Sie, die besten Geschichten sind voller Einzelheiten und besonderer Details, und er schien nicht in der Lage zu sein, etwas anderes als Allgemeinheiten von sich zu geben.“
„Er hetzte also nicht lautstark gegen Prostituierte?“
„Nein“, sagte Skyler. „Allerdings schneiden manche Männer diese Themen auch nur ungern an, wenn sie mit einer Frau sprechen. Ich wünschte, ich hätte diese Verkleidung schon früher in meiner Karriere gehabt. Sie hätte mir einen Vorteil verschafft.“
„Ich glaube nicht, dass ihre Karriere ohne Verkleidung gelitten hat. Tatsächlich habe ich ihren Artikel über die Opfer von Morbus Konstantin gelesen. Ich fand ihn ausgesprochen gut geschrieben.“
Pimm hatte aus nachvollziehbaren Gründen ein gewisses Interesse an der Krankheit. Freddy hatte den Artikel ebenfalls gemocht. Trotzdem hatte sie sich darüber beklagt, dass niemand versucht hatte, sie für ein Interview aufzuspüren, weil sie ihre Rolle als Frau so überzeugend spielte. „Nicht dass sie all die Flüche hätten drucken können, die nötig wären, um meine wahren Gefühle auszudrücken“, hatte sie abschließend gesagt. Seitdem hatte Freddy sich jedoch besser an ihre Situation gewöhnt. Auch wenn sie ihr neues Geschlecht nicht voll und ganz begrüßte, hatte sie zumindest entschieden, sich stärker auf die interessanten, neuen Erfahrungen zu konzentrieren, die ein weiblicher Körper mit sich brachte. Einer der Vorteile, eine Frau zu sein, bestand darin, dass man die Menschen sehr viel leichter schockieren konnte. Freddy hatte es immer Freude gemacht, Leute zu schockieren. Die Kehrseite war die furchtbare Missachtung, die Frauen erfuhren, weil man sie für niedere Wesen hielt. Inzwischen bewunderte Freddy jene Frauen, die sich den lähmenden Erwartungen der Gesellschaft entziehen konnten oder sie überwanden. Frauen, die Hindernisse umgingen oder bezwangen, die Pimm noch nicht einmal wahrnehmen, geschweige denn verstehen konnte.
Frauen, vermutete er, ganz wie Eleanor Skyler.
„Danke“, sagte sie, und errötete sie etwa? Diese Frau war einfach zu reizend. Pimm beschloss, sich so schnell wie möglich von ihr zu lösen, ehe sie ihn ganz und gar bezaubert hatte. „Ich weiß Ihre hohe Meinung davon zu schätzen.“
„Ich nehme an, Sie sind eine Art Expertin für Morbus Konstantin, oder? Was glauben Sie, wie weit verbreitet die Krankheit ist?“
„Ich habe Schätzungen gelesen, die besagen, dass einer von fünftausend Einwohnern der Stadt betroffen sei“, sagte Skyler, doch an ihrem Ton erkannte er, dass sie das nicht glaubte. „Es wird behauptet, dass die Krankheit monatelang, wenn nicht sogar jahrelang, im Blut lauern kann, ehe sie ausbricht. Manche übermitteln sie nur passiv, ohne selbst jemals daran zu erkranken. Viele Menschen könnten deshalb auch erkrankt sein, ohne es überhaupt zu wissen.“
Pimm schüttelte den Kopf. „Aber trotzdem, selbst wenn wir uns nur auf die aktiven Fälle beschränken – eins zu fünftausend, in einer Stadt von drei Millionen? Das wären ja nur sechshundert Fälle. Nein, ich denke, diese Zahl ist viel zu niedrig. So viele Fälle mögen dokumentiert sein. Wahrscheinlich diejenigen, die während der Umwandlung starben. Die, die während der ersten Welle einen Arzt herbeiriefen, ehe die Krankheit einen Namen hatte und man sie besser verstand. Ehe die Menschen anfingen, ihre Veränderungen zu verbergen. Aber wie viele Männer nahmen einfach andere Namen an oder verschwanden? Oder wurden von beschämten Verwandten aufs Land geschickt, oder bestiegen ein Schiff nach Frankreich, oder kauften sich wie Sie einen Anzug und versuchten, nicht aufzufallen? Wie viele der verwandelten Frauen wurden wohl von ihren entsetzten Ehemännern ermordet, oder ermordeten ihre entsetzten Ehemänner zuerst? Oder, um die Dinge etwas rosiger zu sehen, wie viele Frauen, die sich verwandelt haben, gingen einfach auf die Straße und fingen für sich ein neues Leben als Mann an? Die Fabriken brauchen immer Arbeitskräfte und verlangen keine Zeugnisse.“
„Die Krankheit hat in der Mittelschicht angefangen oder in der Oberschicht, so sehr sie es auch zu leugnen versucht“, sagte Skyler. „Das ergibt auch Sinn, falls sie auf die exklusiveren Prostituierten zurückgeht und von Männern an ihre Frauen weitergegeben wurde. Für wohlhabende und bekannte
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