Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Platz genommen hatte, »ick habe unsere Freundin Peggy rüberjebeten, weil se ja doch irgendwie dazujehört. Damit hätte sich der innere Kreis uff sechs Personen erweitert, und dabei soll’s jetzt aber ooch bleiben.«
Kai nahm sich ein Croissant und biss hinein. Er fühlte sich unwohl in seinem Morgenmantel zwischen all den angezogenen, frisch aussehenden Mitverschwörern, oder was hatte Bruno gerade mit dem »inneren Kreis« gemeint? Kai starrte auf Brunos Pfeilschlitztaschen, während dieser fortfuhr.
»Nach einem ruhigen Tag jestern kommt heute also schon der erste Knaller. Dit heißt natürlich, der Knaller is ooch schon von jestern, aber … Ach, wat quatsch ick hier, kommt einfach mal mit rüber in unsern Jefechtsstand, du, Kai, und Sie natürlich ooch, Peggy. Darf ick bitten? Die andern kennen dit ja schon, weshalb die sich am besten auf den Weg machen, wie besprochen.«
»Wird erledigt, Chef«, sagte Robert.
»Irre wa, Herr van Harm?« Peggy rieb sich im Aufstehen die Hände.
»Müssen Sie nicht zur Arbeit, Peggy?«
»Ick bin doch krank jeschrieben, noch bis Montag. Super, oder? Dabei jeht’s mir schon wieder jut. Also fast«, sagte Peggy und hustete pflichtgemäß. Es klang auch nicht besonders überzeugend.
»Glückwunsch!«
»Na du hast aber ’ne Laune, ey!«, sagte Peggy und schlängelte sich an Bruno, der ihr die Tür aufhielt, vorbei in Kais ehemaliges Schlafzimmer, wo es nach Aftershave und trockenem Staub roch. Wo die Ventilatoren ihre zarten Lieder sangen.
Bruno setzte sich vor einen der Monitore, auf dem sich der bedenkliche emblematische Bildschirmschoner drehte. Kai und die hibbelige Peggy stellten sich dahinter auf. Bevor er zur Maus griff, drehte sich Bruno um: »Bereit?«
»Jetzt mach schon Bruno, ich muss mal austreten!«
»Bereit«, sagte Peggy.
Bruno bewegte die Maus, der Bildschirmschoner verschwand und gab den Blick auf den Bürgersteig vor dem Haus frei.
»Cool«, sagte Peggy, »das is vor unserm Haus, wa?«
»Man kann es förmlich riechen«, sagte Kai und musste an den scheißenden Köter denken, den dasselbe Programm vorgestern übertragen hatte.
Ein paar Passanten liefen unter der Kamera durch. In der unteren rechten Ecke standen Datum und Zeit: Die Aufnahmen waren gestern kurz vor neun entstanden. Zu einer Zeit, als Kai noch seinen Rausch ausgeschlafen und Bruno mit seinen Armee-Kumpels beim Frühstück in der Küche gesessen hatte.
»Achtung: Jetzt wird’s spannend«, sagte Bruno, klickte einmal mit der Maus, und die Aufnahme lief in Zeitlupe ab, in der halben Geschwindigkeit. Kai merkte, dass Peggy sich an seinem Arm festhielt. Er selbst versuchte tief und gleichzeitig möglichst geräuschlos zu atmen. Die allgemeine Nervosität hatte auch ihn angesteckt. Doch er wollte nicht, dass Peggy davon etwas mitbekam.
»Jetzt!«, schrie Bruno.
Die Uhr zeigte 8:59:58 an. Eine schemenhafte Gestalt schob sich von rechts ins Bild. Der Schatten eines Menschen, dachte Kai für einen Moment, der Schatten eines sehr großen Menschen. Doch im nächsten Moment erkannte er, dass es sich um keinen Schatten handelt, sondern um einen komplett schwarz gekleideten Mann. Andere Passanten, kleiner und bunter, überholten ihn. Die Schritte des schwarzen Mannes dagegen waren gleichzeitig größer, aber auch viel langsamer als die der anderen Fußgänger. Als sei er bereits an sein Ziel gekommen, als würde er gleich stoppen.
Peggys Fingernägel krallten sich wie eine Zange in Kais Arm.
Auch der Gesichtsausschnitt des Mannes, den der Kamerawinkel erkennen ließ, war dunkel, was an einer großen Sonnenbrille lag, die sowohl Augen als auch das Jochbein verdeckte. Umso greller erschienen im Kontrast zu all dem Schwarz die zwei hellen Flecken an seiner Gestalt. Zum einen eine Art Hefter (oder Umschlag), den er unter den rechten Arm geklemmt trug, während seine Hand in der Tasche seines Arbeitsoveralls steckte. Zum anderen das in der Morgensonne leuchtende Haar. Haar wie gleißendes Gold, militärisch kurz geschnitten, akkurat gekämmt. Eine Frisur, die in Kai komische Assoziationen hervorrief.
Die dunkle Gestalt mit dem leuchtenden Haar tat noch zwei dieser langsamen, ausholenden Schritte, dann scherte sie nach links aus und war aus dem Bild verschwunden. Die Kamera-Uhr zeigte 9:00:01.
Jetzt atmete Kai doch heftiger, als ihm lieb war. Das beklemmende Gefühl in der Brust drückte auf einmal bis in den Magen. Er fürchtete, dass es jeden Moment an der Tür klingelte. Oder dass jemand
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