Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Jugend reserviert waren, und die stets ein bisschen aussahen als kämen sie aus Schlumpfhausen. Aber wer so rundum perfekt war wie Jens-Uwe Palmer, der verfügte vermutlich auch noch über volles Deckhaar unter seiner Strickmütze. Sein einziger Makel bestand ganz offensichtlich darin, dass er so gut wie keinen geraden Satz formulieren konnte. Aber das schien außer Kai niemanden zu stören.
Während Kai van Harm merkte, wie eine ungeheure Eifersucht in ihm aufstieg, klickte er auf den Eintrag von William T. Zorc. Immerhin war dessen Werkliste relativ kurz, bestand nur aus drei Titeln, die zusammen die Trilogie Das Erbe der Metronauten ausmachten. Jeder Band allerdings hatte wiederum mindestens sechshundert Seiten. Wahrscheinlich irgendein Science-Fiction-Quatsch, denn man konnte kaum davon ausgehen, dass es sich dabei um die Familiengeschichte einer Dynastie von U-Bahn-Fahrern der BVG handelte.
Nein, es war keine Eifersucht, die in Kai aufgestiegen war, es war etwas anderes: Neid. Und dieser Neid tat sich mit der Eifersucht zusammen, die ohnehin in ihm rumorte, doch bevor der Neid noch größer werden konnte, klappte Kai van Harm abrupt den Notebook-Deckel zu.
Er ging in die Küche und mischte sich einen Gin Tonic. Das mit der Arbeit am Exposé konnte er heute sowieso vergessen. Also blieb er in der Küche sitzen, hörte Radio, aß hin und wieder einen Happen aus der Bäckertüte, schenkte sich ab und zu einen neuen Drink ein (aber nie mehr als zwei Fingerbreit auf einmal) und kam sich dabei so ausreichend beschäftigt vor, dass er gar nicht merkte, was er in Wirklichkeit hier machte. Nämlich auf Brunos Rückkehr vom Einkaufen zu warten. Denn was immer man von Bruno halten mochte, eines konnte man ihm auf alle Fälle nicht vorwerfen: dass er ein schlechter Trinkkumpan war. Und einen solchen konnte Kai jetzt sehr gut gebrauchen.
Das letzte Hemd hat Pfeilschlitztaschen
Eigentlich sah das Hemd ganz normal aus. Es war nicht sonderlich gut verarbeitet, nicht besonders modisch geschnitten, aber es war für eine Weile mit Sicherheit alltagstauglich. Auch die Farbe, die man früher eierschalenfarben genannt hätte, als braune Eier noch selten in den Eierpappen gewesen waren, wäre durchaus noch in Ordnung gegangen, gut kombinierbar auch zu Brunos neuer Bio-Hose, wenn … ja, wenn …
Mein Gott, dachte Kai van Harm, was war da eigentlich passiert mit diesem Hemd, das Bruno ihm am frühen Abend mit stolzgeschwellter Brust in der Küche präsentierte? Und jetzt hatte er ihn auch noch nach seiner Meinung gefragt. Und harrte, ein schäumendes Bier in der Faust, hoffnungsfroh auf eine Antwort.
»Ehrlich Bruno, da war diese … wie soll ich sagen«, sagte Kai van Harm, »na ja, diese seltsam gefärbte Schliere am Kragen deines alten Hemdes weniger, wie soll ich sagen … die war weniger …«
»Scheiße«, versuchte Bruno auszuhelfen und grinste.
»Das wäre jetzt nicht meine erste Wortwahl, aber – ja!«
»Is dit dein Ernst?«, Brunos Grinsen erstarb.
»Natürlich.«
»Aber …« Bruno war kurz sprachlos. »Aber Robert und die andern meinten, dit sei der letzte Schrei. Frech und sportlich. Und dit sind drei junge Männer, mit Familie und Pipapo. Die wern ja wohl Ahnung ham.«
»Wo sind die drei eigentlich abgeblieben?«, fragte Kai. Er wollte jetzt nicht unbedingt das Thema Hemd vertiefen.
»Wat essen. Und danach ein kleinen Spaziergang machen. Kieken, ob die Technik funktioniert. Du weeßt schon.«
»Ja.«
Für eine Minute war Ruhe, und sie tranken ihre Getränke. Bruno mit unübersehbarem Durst, Kai, um Bruno Gesellschaft zu leisten, sozusagen.
Leider quengelte Bruno nach Ablauf der Schweigeminute abermals los: »Aba wat stümmt denn jetze nich mit meim Hemd.«
»Na, sieh dich doch mal im Spiegel an«, sagte Kai, und während Bruno mit langem Hals versuchte, an sich herunterzuschielen, fing Kai an, die Hässlichkeit des Hemdes, die ihm ja direkt vor Augen stand, extra noch einmal für seinen Freund in Worte zu fassen.
Ihn störte zum Beispiel, dass die Manschetten und der Kragen in einem grellen Orange abgesetzt waren, das so gar nicht mit der restlichen Eierschalenfarbe harmonierte.
Dass es zwei Brusttaschen gab, die nicht etwa diskret gehalten waren, sondern in Pfeilschlitzform daherkamen, so wie die Hemden von Countrysängern.
»Na, na, na, na«, drohte Bruno an dieser Stelle mit dem Zeigefinger, »olle Peter Tschernig sein einet Hemd hatte och so ’ne Taschen.«
Aber Kai, der noch aus dem letzten
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