Mord am Millionenhügel
lächelte und sah mich wieder an. »Sie haben ja Takt«, sagte sie, halb erstaunt. »Danke. Jedenfalls füllt er sofort jeden Raum aus, in dem er sitzt.«
»Kein Wunder, bei so viel Fett.«
»Unsinn. Ich meine das auch – wie soll ich sagen, innerlich? Dagegen hilft nur eins: Man muß es akzeptieren; das versuche ich im Moment. Oder man wehrt sich mit Sarkasmen, wie Sie.«
Ich stand auf, ging um den Tisch herum, nahm ihre Hand, küßte ihre Fingerspitzen, ging zurück und setzte mich wieder.
Sie sah mich verwundert an.
Ich breitete die Arme aus. »Madame«, sagte ich, »wie sollte ich eine schöne Frau nicht lieben, die Gutes über meinen Freund Baltasar sagt?«
Sie wollte etwas sagen, schluckte es dann aber hinunter und beugte sich vor. »Na schön«, sagte sie, wobei sie auf den Tisch klopfte, »hören wir mit den Albernheiten auf und kommen wir zur Sache.«
Danach hörte ich eine Geschichte, die sie Baltasar schon erzählt hatte. Sie war mit Eva Morken, die damals noch Ahrenborn hieß, in die Schule gegangen. Die beiden Mädchen hatten sich angefreundet. Gelegentlich war sie auch im Haus der Ahrenborns gewesen.
»Aber nur ungern. Damals wohnten sie noch in Bonn. Das Haus in Godesberg ist erst so neunzehnhundertsechzig, genau weiß ich's nicht mehr, gebaut worden. Ich habe mich nie wohl gefühlt bei ihnen. Zu Hause war Eva ganz anders als bei mir oder wenn wir gemeinsam irgendwas unternommen haben. Das war wie ein riesiger, düsterer Schatten.«
Der Schatten war der Vater, Professor Arno Ahrenborn. Er hielt Evas Mutter wie eine Leibeigene, die keine eigenen Gedanken und kein eigenes Gefühl haben durfte.
»Woher das kommt, weiß ich nicht. Frau Ahrenborn ist, glaube ich, sechs Jahre jünger als er. So um die siebenundfünfzig heute. Das heißt, sie wäre ungefähr Jahrgang dreiundzwanzig. Soweit ich weiß, haben die Ahrenborns im Frühjahr einundvierzig geheiratet, und Eva ist im Juli zur Welt gekommen. Sie können sich das selbst ausrechnen. Frau Ahrenborn war siebzehn, er dreiundzwanzig, als es passiert ist, und das neunzehnhundertvierzig in einem Kaff in der Nähe von Eger. Ich glaube, er war so ein kleines Genie, hat mit siebzehn Abitur gemacht – eine Klasse übersprungen – und neunzehnhundertvierzig, mit gerade dreiundzwanzig, sein medizinisches Examen. Dann ist er wohl an dieses kleine Landkrankenhaus gegangen, in der Nähe von Eger.«
Was sie wußte, hatte sie von Eva, und die wiederum wußte nur, was ihre Mutter ihr gelegentlich verstohlen erzählt hatte. Vom Vater war nichts zu erfahren. Er war hart und kalt,
»Später hat Frau Ahrenborn praktisch aufgehört zu reden und sich ganz in sich selbst zurückgezogen. Ich glaube, daß sie schon seit vielen Jahren in einem Zustand ist, den man eigentlich nur als sehr krank bezeichnen kann. Natürlich kann niemand etwas machen, denn der Herr Professor hat ja, wie alle guten Leute dieser Art, seine hochgeschätzten Kollegen, die ihm jederzeit blindlings unterschreiben, daß seiner Frau nichts fehlt, und daß, selbst wenn die Tochter sich zu einer Anzeige oder etwas Ähnlichem hinreißen ließe, die Tochter wohl an Halluzinationen leiden muß. Außerdem kann Eva nichts unternehmen.«
Nun kam die zweite Phase des Terrors. Eva erinnerte sich dunkel an ihre ersten Jahre; irgendwie, wie es bei Kindern sein kann, verwischten sich aber die ersten Erinnerungen. So konnte sie zwar noch genau sagen, daß ein großes Haus in einem Wald lag, und in dem Haus arbeitete ihr Vater, und irgendwann hat alles gebrannt und sie sind geflohen, aber in welchen Abständen sich alles abspielte, war ihr nicht genau erklärlich. Die Flucht muß Anfang 1945 erfolgt sein, es war kalt und verschneit. In der Nähe hatte es immer einen älteren Jungen gegeben, Emil, den Eva widerlich fand.
»Sie weiß nicht genau, wann sie erfahren hat, daß Emils Vater Pfleger in diesem Krankenhaus war. Emil war offenbar nicht besonders empfindsam. Er muß mit seinem Vater und Ahrenborn, den er Onkel Arno nannte, gelegentlich auf die Jagd gegangen sein. Das hat er später mal selbst erzählt, auch, daß er früh selbst schießen durfte und mit einem Gewehr umgehen konnte. Jedenfalls ist Evas früheste Erinnerung an ihn, daß er vor ihren Augen einen lebenden Regenwurm geröstet und Frösche mit einem Strohhalm aufgeblasen hat, bis sie geplatzt sind. Den Regenwurm mußte Eva dann essen; Emil hat ihr die Nase zugehalten, bis sie den Mund aufmachte, um Luft zu schnappen. Wie alles zusammenhängt,
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