Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
Kniehöhe, „und ist dann über das Geröll nach unten gerutscht.“
„Aber der Mirador El Santo führt doch direkt in die Tiefe hinunter.“
„Nicht an der Stelle, wo Anita über die Mauer fiel. Dort ist zwar ein extrem steiler Abhang, aber er ist nicht so steil, dass er den Sturz nicht aufgefangen hätte.“
„Und woher kam das Blut?“
„Ein vernachlässigbar kleiner Schnitt an ihrer Stirn.“
„Und deshalb denkst du, dass sie vergiftet worden ist. Sie hat deiner Meinung nach das Bewusstsein verloren und ist über die Mauer gefallen“, schloss Isabella.
Ich nickte. „Vielleicht war ihr übel und sie wollte die Nachtluft in tiefen Zügen einatmen.“
Isabella rieb sich nachdenklich das Kinn. Dann sagte sie, fast mitleidig: „Glaubst du nicht, dass das alles sehr weit herbeigeholt ist? Meines Wissens ist Gomera eine schöne, friedliche Insel. Hier vergiftet kein Mensch den anderen. Ich verstehe, dass der Tod von Anita dir sehr nahe geht, aber manchmal denkt man sich vor Trauer die verrücktesten Sachen zusammen.“
Ich sah sie verzweifelt an. Sollte ich ihr jetzt etwas von den seltsamen Vorkommnissen im Acueducto erzählen? Besser nicht. Nicht bevor ich in der Hinsicht klüger wäre, sonst würde sie mich für vollends übergeschnappt halten.
Ich überlegte. Dann sagte ich fest: „Das würde ich auch gerne glauben, Isabella, aber kurz vor ihrem Tod hat Anita mir anvertraut, dass jemand sie mit einer Morddrohung konfrontiert hat.“
Isabella schien das zu beeindrucken. „Das kann ich kaum glauben. Warum nur, um alles in der Welt? Wer würde einer so süßen jungen Frau mit dem Tod drohen?“
„Das will ich ja gerade herausfinden“, sagte ich bitter. (Ich erwähnte natürlich nicht, dass es Costa gewesen war, der Betreiber des Acueducto.)
„Und du glaubst also allen Ernstes, dass dieser Almandredo vergiftet ist“, sagte sie.
„Ja, und ich möchte dich bitten, herauszufinden, um was für ein Gift es sich handeln könnte. Dabei sollen dir der Keks und die Haare helfen, denn ich gehe mal davon aus, dass die Substanz sich auch in ihrem Blut nachweisen lassen müsste, dem Blut, das auf diesen Haaren klebt.“
Isabella nickte. „Das macht Sinn, und es war ziemlich geistesgegenwärtig von dir, eine Blutprobe auf diese Weise zu sichern.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe und sah vor sich hin. „Reizen würde mich die Aufgabe schon.“ Jetzt funkelten ihre Augen unternehmungslustig.
Ich merkte, wie ein erleichtertes Lächeln über mein Gesicht kroch.
Isabella sah es und hielt eine Hand abwehrend hoch. „Aber mach dir bitte nicht allzu große Hoffnungen, Jan, denn ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass dabei etwas Positives herauskommt. Außerdem kann das Ganze eine Weile dauern. Bevor ich irgendwelche Ergebnisse liefere, überprüfe ich sie gerne genau.“
„Ja, natürlich, aber ich wäre dir unendlich dankbar, wenn du es wenigstens versuchen würdest.“
„Gut, ich mache es“, sagte sie jetzt, „aber nur unter der Bedingung, dass du mich auch mal irgendwohin nett zum Essen einlädst. Zur Zeit bin ich Single und ich hasse es, alleine auszugehen.“
„Das kann ich gut verstehen“, sagte ich, reichte ihr die Hand und drückte sie. „Es ist ein Deal, ich verspreche es dir.“
Als ich die Apotheke verließ, dachte ich mir, dass es vielleicht ganz schön sein könnte, mit ihr ins Restaurant zu gehen, aber in einem Punkt war ich mir hundertprozentig sicher; es würde nicht das Acueducto sein.
Kapitel 15
Auf dem Rückweg aus dem Valle musste ich noch eine Aufgabe bewältigen. Ich hielt vor dem beeindruckenden, aus rotem Lavastein gemauerten Tanatorio, der Totenhalle. Mit schwerem Herzen trat ich durch die Tür. Carlos saß dort neben Anitas Sarg und hielt die Totenwache.
Als ich mich näherte, sah er kurz auf, nickte, und blickte dann wieder auf die Tote.
Ich war beeindruckt, wie ruhig und gefasst er war, obwohl er in seiner Hand ein zerknülltes Taschentuch hielt.
In dem dunklen, kühlen Raum waren die brennenden Kerzen um Anitas Sarg die einzigen Lichtquellen, bis auf wenige Lichtstrahlen, die durch kleine Fensterluken hineinleuchteten.
Anita lag friedlich da. Sie hatte zwar nicht das berühmte sanfte Lächeln der Toten, aber ihr Gesicht war so schön, als lebe sie noch. Ihre schwarzen Haare lagen akkurat auf das Seidenkissen ausgebreitet. Es fiel überhaupt nicht auf, dass einige Haare fehlten. Sie trug ein schlichtes, helles Sommerkleid, in dem sich ihre schlanke
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