Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
dass es erst einmal unter uns bleibt?“
Ich muss sie ziemlich intensiv angestarrt haben, denn sie wirkte irritiert und senkte ihren Blick. Sie schien nachzudenken.
Dann sagte sie: „Ich gehe davon aus, dass du mir diese vertraulichen Dinge deshalb erzählen willst, weil du meine pharmazeutischen Kenntnisse brauchst, nicht weil du mich einfach süß findest und gerne nette Geheimnisse mit mir teilen willst.“
„So ist es.“
Isabella schmunzelte ein wenig und sagte: „Schade.“ Dabei bildeten sich wieder die Grübchen in ihren Wangen. Dann änderte sie aber ihren Tonfall und sagte ernst: „Natürlich helfe ich dir gerne. Ich hoffe nur, dass mein Wissen dazu ausreicht.“
„Gut“, sagte ich, „es handelt sich um Folgendes.“
Doch da ging die Ladentür auf, und eine junge Mutter kam herein. An der Hand hielt sie ein Kind mit blutendem Knie.
Geistesgegenwärtig raffte ich mein Taschentuch samt Inhalt zusammen und verstaute es in meiner Hosentasche.
Isabella verband dem kleinen Patienten das Bein und schenkte ihm einen Traubenzucker. Dann zogen Mutter und Kind wieder davon.
Als sie wieder weg waren, schlug Isabella vor: „Komm, wir gehen in das Hinterzimmer, wo ich mein Labor habe. Ich höre schon, wenn jemand kommt. Die Ladenglocke meldet uns das.“
Der Raum, in den sie mich mitnahm, zeugte von ihrer Begeisterung für ihre Wissenschaft. Obwohl ich als Mediziner selbstredend auch ein Praktikum gemacht hatte, war ich beeindruckt von der Anzahl chemischer Geräte und hätte keins davon sicher benennen können.
Ich holte mein Taschentuch wieder heraus und entfaltete es auf der Theke.
„Wo waren wir stehen geblieben?“, fragte Isabella.
„Ganz am Anfang meiner Ausführungen.“, sagte ich und lächelte ein wenig. „Also, Isabella. Die Haare habe ich persönlich von der Leiche abgeschnitten.“
„Wo? Im Krankenhaus in San Sebastian? In der Pathologie?“
„Nein. Ich habe die Tote aufgefunden.“
„Wie – du! Da stand aber gar nichts davon in der Zeitung.“
„Nein. Darin steht, dass ein anonymer Wanderer die Polizei über Handy benachrichtigt hat.“
„Ja, aber ich verstehe zwei Dinge nicht. Erstens, wie kam es, dass ausgerechnet du die Leiche gefunden hast, und zweitens, warum hast du dich nicht als Finder zu erkennen gegeben?“
„Zu deiner ersten Frage: weil ich die Verstorbene gesucht habe. Sie war am Abend nicht nach Hause gekommen und ihr jüngerer Bruder hatte sie vermisst. Zur zweiten Frage: Ich habe mich nicht als Finder geoutet, weil ich den Wirbel um meine Person nicht ertragen hätte. Nicht in dieser Situation. Hinzu kam, dass ich mir nicht erklären konnte, woran sie gestorben ist. Ich möchte es aber unbedingt erfahren. Das ist der Punkt, wo ich deine Hilfe brauche.“
Isabella dachte wieder nach. Dann fragte sie: „Hast du diese Anita Morales etwa gesucht, weil sie dir nahestand?“
Ich nickte stumm. Dann sagte ich heiser: „Sehr nahe.“
Da weiteten Isabellas Augen sich und wurden feucht. „Ach du meine Güte! Wie furchtbar für dich! Das tut mir unendlich Leid.“
Ich spürte, wie es auch in meinen Augen gefährlich brannte.
Jetzt nicht zusammenbrechen, Jan, sagte ich mir streng.
Isabella trat auf mich zu und legte beide Arme um mich und drückte mich einmal kurz fest an sich. Sie duftete gut, nach Frau und einem leichtem Parfüm. Dann rückte sie wieder ab.
„Entschuldigung“, sagte sie, „aber das musste jetzt sein.“
Ich atmete durch. Ihre kurze Umarmung hatte mir wahnsinnig gut getan. Es war das erste Mal, dass jemand mich nach Anitas Tod getröstet hatte, und ich war Isabella dankbarer dafür, als ich mir anmerken ließ.
Daraufhin herrschte ein kurzer Moment der Verlegenheit zwischen uns, den ich schnell beendete, in dem ich mit sachlichem Tonfall sagte: „Als ich Anitas Leiche fand, sprach alles dafür, dass es ein Unfall war, wie es auch in der Zeitung steht. Doch als ich mir die Unfallstelle und ihren Körper genauer ansah, konnte ich keine Anzeichen für eine nennenswerte Verletzung erkennen.“
Da runzelte Isabella wieder ihre Stirn.
„Also, dein Medizinerwissen in Ehren, und so“, sagte sie skeptisch, „aber einfach so vom Angucken kann man doch nicht erkennen, ob sie nicht irgendwelche inneren Verletzungen hatte, die zum Tode führten.“
„Die hätte sie sich gar nicht zuziehen können“, argumentierte ich, „sie ist nämlich über eine Mauer gefallen, hinter der das Erdreich so hoch war“, ich zeigte mit meiner Hand etwa in
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