Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
Figur abzeichnete.
Ich setzte mich neben Carlos und leistete ihm Gesellschaft.
Ich weiß nicht, wie lang ich dort saß. Es zog mich nichts weg von ihr. Ich wollte nur hier sein und ihre Gesichtszüge in mein Gedächtnis einbrennen, damit sie mir immer gegenwärtig sein würden.
Anita, sprach ich zu ihr in meinem Herzen, es tut mir Leid, dass ich nicht besser auf dich aufgepasst habe. Ich hätte deine Bemerkung über die Drohung Costas nicht ignorieren dürfen.
Das muss dir nicht Leid tun , flüsterte es in meine Seele zurück, denn du weißt, ich hätte sowieso nicht auf dich gehört, dafür war ich viel zu selbstständig. Und ich bin immer noch stolz darauf, dass ich es war.
Anita , sagte ich wieder, ohne dass ich meine Lippen bewegte, ich möchte unbedingt herausfinden, wer an deinem Tod schuld ist, kannst du mir denn keinen Hinweis geben, von da oben, wo du jetzt bist? Es ist so verdammt schwer.
Quäle dich nicht wegen mir, flüsterte es zurück, kümmere dich lieber um Carlos, das ist viel wichtiger.
Vielleicht hatte sie recht, vielleicht sollte ich die ganze blöde Recherche aufgeben, dachte ich. Was kümmerten mich die Menschen, die so dumpf waren, dass sie sich irgendwie in eine Todessituation herein manövrierten? Was kümmerten mich die Verbrecher, die dahinter saßen? Warum lebte ich nicht einfach mein friedliches Weinbauerleben weiter und vergaß das Ganze?Aber dann flüsterte mein Herz Anita zu: Das kann ich nicht. Ich habe es dir und mir geschworen.
Ich stand auf und beugte mich über den Sarg, um ihre kühle Stirn zu küssen. Man konnte den kleinen Schnitt kaum noch erkennen und alle Spuren des Blutes waren sorgfältig entfernt worden. Ihr Körper duftete noch immer schwach nach Orangenblüten und das Aroma schnürte mir die Kehle zu.
Dann legte ich meine Arme um Carlos, drückte ihn kurz und sagte: „Wenn du irgendetwas brauchst, sagst du mir Bescheid.“
Er nickte wieder stumm.
Dann verließ ich das Tanatorio und trat hinaus in das blendende Sonnenlicht.
Sie wurde am nächsten Morgen beerdigt.
Als ich an der kleinen Friedhofskapelle ankam, hätte ich am liebsten gleich wieder kehrt gemacht. Offensichtlich war ganz Gomera angerückt, um der hübschen Kellnerin die letzte Ehre zu erweisen.
Aber dann fiel mein Blick auf Carlos, der in dem ganzen Rummel blass und verloren dastand. Zwar waren Inez und Pedro dicht an seiner Seite, aber er schien nach mir Ausschau zu halten und sein Gesicht hellte sich kaum merklich auf, als er mich sah.
Wir betraten die kleine Kapelle und setzten uns auf die vorderste Bank. Die Totenmesse zog an mir vorbei. Der quäkende Gesang der Frauen ging mir auf die Nerven. Das Gemurmel des Priesters ebenso, (obwohl der ältere Mann auf mich sympathisch wirkte. Er hatte buschige Augenbrauen, unter denen seine dunkle Augen die Gemeinde liebevoll und besorgt musterten. Man spürte schon, dass das ein echter Pastor war, ein Schäfer, der seine Schäfchen gut führte und von ihnen geschätzt und respektiert wurde.)
Stattdessen lenkte ich mich dadurch ab, dass ich die schlichten, volkstümlichen Kunstwerke an den Kapellenwänden betrachtete. Da war ein Jesus mit einem Herzen, aus dem Strahlen hervorschossen. Eine geschnitzte Madonna hielt die Hände im Gebet erhoben und sah flehend zur Decke. (Dort hing ausgerechnet eine ziemlich beeindruckende Spinnwebe.) Hinter dem kleinen Altar hing ein unbeholfenes Ölbild, auf dem das letzte Abendmahl dargestellt war. Wie auf den meisten Abendmahlsdarstellungen, war Johannes, „der Jünger, den Jesus besonders liebte“ dicht neben dem Herrn platziert. Der lokale Künstler hatte allerdings den Winkel, in dem der Jünger sich seinem Heiland zuneigte etwas übertrieben, so dass es aussah, als würde Johannes gleich auf den Tisch kippen. Das amüsierte mich zunächst. Dann realisierte ich, dass mich die Darstellung an etwas erinnerte, nämlich an den Moment im Acueducto, als der alte Herr tatsächlich auf den Tisch kippte, weil er zusammengebrochen war.
Ich versuchte nicht daran zu denken, aber irgendwie drängte sich die Erinnerung mir auf.
Letztes Abendmahl, dachte ich. Das war das letzte Abendmahl des alten Mannes gewesen, in der Tat.
Letztes Abendmahl. Wie viele Gäste hatten dort schon ihr „letztes Abendmahl“ zu sich genommen und wie viele würden es noch werden, dachte ich zynisch.
Letztes Abendmahl. L.A., kürzte ich ab. L.A. Für „Letztes Abendmahl“.
Mit einem Mal wurde es mir so deutlich, als hätte es jemand
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