Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
sich wie neu geboren, obwohl er die Nacht nicht all zu viel geschlafen hatte. Nach seinem Dienst war er zum Training gegangen. Seit einem Jahr boxte er, um sich fit zu halten. Zunächst hatte er bei dem legendären Jürgen Delius auf Sandsäcke eingedroschen. Leider hatte sich dieser in die Machenschaften der mexikanischen Drogenmafia verstrickt und saß nun eine längere Haftstrafe ab. Zum Glück hatte Steininger eine andere Sportschule in der Innenstadt gefunden, die er nun nutzte. Normalerweise betätigte er sich dort jeden zweiten Tag ein bis zwei Stunden, duschte, fuhr nach Hause und brutzelte sich ein Steak. Der gestrige Abend allerdings hatte einen völlig anderen Verlauf genommen. Wie aus dem Nichts war Felicitas Maurer in der Sportschule aufgetaucht, hatte sich ebenfalls Boxhandschuhe über die Hände gestülpt und mit einer wahnsinnigen Intensität auf einen Sandsack eingedroschen. Obwohl Steininger Boxen eher für eine Männersportart hielt und aufeinander eindreschende Frauen nicht ganz seinem Weltbild entsprachen, musste er unumwunden zugeben, dass die Art und Weise, in der Felicitas Maurer den Sandsack bearbeitete, durchaus etwas Ästhetisches hatte. Nachdem er sein Training beendet hatte, legte er sich ein Handtuch um die Schulter und orderte an der Bar einen Isodrink. Während er trank, waren seine Blicke des Öfteren zu Maurer geglitten. Wahrscheinlich hatte sie seine Aufmerksamkeit bemerkt, vielleicht wollte sie ihn aber auch nur wegen der neusten Ermittlungsergebnisse aushorchen. Jedenfalls war sie, nachdem auch sie ihr Training beendet hatte, zu ihm gekommen und hatte sich mit einem Lächeln neben ihn gesetzt. Danach hatte Steininger die Kontrolle über die Situation verloren. Die weiteren Stationen des gestrigen Abends tauchten sequenzartig vor seinem inneren Auge auf: Maurers Porsche, ihre Penthousewohnung, ihr Schlafzimmer. Langsam öffnete er die Augen. Die Nacht mit Maurer war schön gewesen. Doch wie sollte es nun weitergehen? Er könnte wohl kaum durch das Präsidium laufen und lauthals verkünden: Hört mal alle her, die Staatsanwältin steht auf mich! Er bereute nichts, doch zugleich war er mehr als unsicher, was das weitere Prozedere betraf. Steininger stellte das Wasser ab, verließ die Dusche und zog sich an.
Das erste, was Cheyenne wahrnahm, war ein nackter Fuß, der aus dem Gebüsch herausragte. Zunächst begriff das junge Mädchen noch nicht, was sie soeben gesehen hatte und lief einfach weiter. Doch der nackte Fuß hatte sich irgendwie in ihr Gedächtnis eingebrannt. Nach wenigen Metern blieb sie stehen und wandte sich um. Und das, was sie dann sah, war weitaus mehr als ein nackter Fuß.
Tom Bohlan hatte sich gerade an seinen Schreibtisch im Präsidium gesetzt, als das Telefon klingelte. Er hob den Hörer mit der linken Hand ab, während die rechte Hand nach der Maus griff. Für einen Moment versuchte er, sich auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren: Telefonieren und E-Mails abfragen. Bedauerlicherweise verhinderte die Nachricht, die ihm übermittelt wurde, dass er es schaffte, Microsoft Outlook aufzurufen. Rückblickend betrachtet fiel es ihm schwer, die Gefühle zu beschreiben, die ihn übermannten. War es Wut, Erschrecken oder Trauer? Wahrscheinlich war es eine Mischung aus allem. Das Gespräch dauerte nicht lange. Höchstens eine Minute, wahrscheinlich sogar weniger. Nachdem er den Hörer wieder zur Seite gelegt hatte, blickte er ausdruckslos vor sich hin. In diesem Moment betrat Julia Will den Raum. Noch bevor sie losträllern konnte, erhob sich Bohlan.
„Kannst gleich auf dem Absatz kehrt machen. Es gibt Arbeit.“
„Was ist passiert?“, wollte Will wissen, die nichts Gutes ahnte.
Keine fünfzehn Minuten später parkte Bohlan an der Straßenkreuzung Zehnmorgenstraße/Berkersheimer Weg. Die beiden Kommissare stiegen aus, überquerten die Straße und erklommen eine breite Treppe, die zum Sportgelände des FV 09 Eschersheim führte. Direkt am Eingang führte ein schmaler Pfad zwischen den Umkleideräumen und einigen Gärten entlang. Zielstrebig betraten sie den Weg, der nach wenigen Metern einen Bogen nach rechts machte. Der Fundort war bereits abgesperrt und von einigen Männern des 12. Reviers abgesichert.
„Wir haben alles so belassen, wie wir es vorgefunden haben“, sagte einer der Polizisten.
Natürlich, dachte Bohlan. Alles andere wäre auch höchst fahrlässig. „Sehr gute Arbeit. Wo ist die Fundstelle?“
Der Polizist nickte in Richtung Gebüsch.
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