Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
gefunden?“
„Ein Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt. Sie war gerade auf dem Weg zur Schule. Wir haben sie einstweilen in den Einsatzbus gesetzt.“
Bohlan nickte: „Spusi und Gerichtsmedizin sind verständigt?“
„Ja, zeitgleich mit Ihnen.“
Bohlan legte die Hand kurz auf die Schulter des Polizisten, als wollte er sagen: gut gemacht. Dann sagte er zu Will: „Kannst du dich um das Mädchen kümmern? Ich brauche eine Auszeit.“
„Haben Sie schon gehört? Es wurde schon wieder ein totes Mädchen gefunden.“
Marina Weller stand in der Warteschlange der Bäckerei und war gerade dabei, die Überschriften der Tageszeitungen zu studieren. Eigentlich war sie an dem täglich über die Ladentheke wandernden Tratsch und Klatsch nicht interessiert. Einem neuen Verbrechen, das in der Nähe verübt worden war, konnte sie sich indes nicht entziehen.
„Schon wieder?“
„Heute Morgen. Am Fußweg zur Bahnbrücke“, sagte die Verkäuferin und fügte zur Erklärung hinzu: „Kennen Sie den Weg, der hinter dem Sportplatz entlang führt?“ Marina Weller nickte.
„Ja, genau da im Gebüsch. Soll angeblich kein schöner Anblick sein. Was darf’s denn bei Ihnen sein?“
„Acht Brötchen und ein Bauernbrot“, sagte Marina Weller, um sich gleich zu verbessern: „Nein, nur sechs Brötchen.“ Ihr war gerade eingefallen, dass Natascha heute Nacht nicht zu Hause geschlafen hatte.
„Weiß man denn schon Genaueres?“, fragte sie, während die Verkäuferin die Brötchen in eine Tüte packte.
„Nein, nur dass es ein Mädchen sein soll. Sie haben wieder alles abgesperrt und lassen niemanden ran.“
Frau Weller legte einen Zehneuroschein auf die Theke.
„Schlimm. Wo doch in der letzten Woche erst Lea gefunden wurde.“
„Schönen Tag noch“, sagte Weller nachdenklich. Sie packte die Tüten in ihren Einkaufskorb und verließ den Laden. Sie musste an die Familie Schuster denken und die Traurigkeit, die seit letzter Woche dort herrschte. Als sie auf die Straße trat, übermannte sie ein äußerst merkwürdiges Gefühl. Irgendetwas war an diesem Morgen anders als sonst.
Tom Bohlan lehnte an einer Straßenlaterne und beobachtete die Fahrzeuge der Spurensicherung. Es schien ihm, als krochen sie die Zehnmorgenstraße empor. Er fühlte sich mehr als Beobachter, denn als Teil des Geschehens. Das Ganze hatte einen merkwürdig unwirklichen Touch.
„Dort die Treppe hoch und dann den Trampelpfad entlang“, hörte er seine Stimme wie von Ferne rufen, als die Wagen auf dem Parkplatz abgestellt wurden. Kurze Zeit später fuhr Dr. Spichal vor. Ihm folgte ein Porsche, in dem Staatsanwältin Maurer und Steininger saßen. Merkwürdig, dachte der Kommissar. Wieso kommen die denn zusammen? Dr. Spichal war gewohnt lässig in Jeans und Sakko gekleidet. Felicitas Maurer trug ein knappes Kostüm. Bohlan unterrichtete die beiden in kurzen Sätzen darüber, was passiert war. Steininger hielt sich im Hintergrund.
„Na dann wollen wir mal“, sagte Dr. Spichal und strebte in Richtung Treppe. Felicitas Maurer blieb noch einen Moment stehen und fixierte Bohlan. „Das ist dann eine neue Dimension. 13.00 Uhr Lagebesprechung in meinem Büro.“ Die Worte klangen schnippisch und bestimmt.
Bohlan wollte etwas erwidern, doch die Staatsanwältin hatte auf dem Absatz kehrt gemacht und eilte dem Rechtsmediziner hinterher. Ein Königreich für eine Zigarette, dachte Bohlan und tastete seine Jacke ab. Vergeblich. Er hatte das Rauchen schon seit Jahren aufgegeben und eigentlich verschwendete er keinen Gedanken an irgendwelche Glimmstängel. Selbst die täglichen Drehorgien seines Kollegen Steinbrecher ließen ihn völlig kalt. Doch in besonders schwierigen Situationen, dann, wenn sich das Verbrechen von seiner hässlichsten Seite zeigte, kehrten die alten Verhaltensmuster wie aus dem Nichts zurück. Bohlan konnte sich noch genau an die eine oder andere Situation in den letzten Jahren erinnern, in der das Verlangen nach einer Zigarette für Momente sein Gedächtnis lahmgelegt hatte. Einmal war es sogar so weit gekommen, dass er sich eine Packung Gauloises gekauft hatte. Er hatte die Kippe in den Mundwinkel gesteckt und angezündet, sich dann aber doch eines Besseren besonnen und die Packung entsorgt. Oder hatte er sie gar nicht entsorgt und sie steckte noch immer in einem seiner Kleidungsstücke? Wie auch immer, jetzt war er wieder in einer Situation, in der er sich nach einer Dosis Nikotin sehnte. Das zweite tote Mädchen innerhalb von nur einer
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