Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
den Achseln.
Bohlan orderte eine weitere Runde und die Speisekarte. Vergeblich suchte er nach Frankfurter Gerichten. Stattdessen wurden spanische Spezialitäten wie Gambas, Knobi-Hähnchen oder Paella serviert. „So. Und nun sollten wir den Fall für heute ad acta legen. Was macht Julian?“
Steinbrechers Sohn war die meiste Zeit bei seiner Mutter aufgewachsen und erst im letzten Jahr, nachdem er die Schule beendet hatte, zu seinem Vater nach Frankfurt gezogen. Seitdem bildeten die beiden so etwas wie eine Wohngemeinschaft. Steinbrecher war dadurch wesentlich ausgeglichener geworden, allerdings fanden gemeinsame Abende der Kommissare auch nicht mehr allzu oft statt.
„Er wartet noch auf die Zusage von der Polizeischule“, antwortete Steinbrecher.
„Will er tatsächlich in deine Fußstapfen treten? Nicht zu fassen.“
„Tja, an meiner Erziehung kann es nicht gelegen haben. Schließlich hat die nicht stattgefunden.“
„Vielleicht gerade deshalb. Obwohl du ihn nicht sehen durftest, hast du offenbar einen starken Einfluss auf ihn ausgeübt. Ist doch auch was.“
„Wenn ich ehrlich bin, dann gibt mir das schon so etwas wie Genugtuung. Seine Mutter ist übrigens nicht sonderlich erfreut über seine Entscheidung. Sie hatte auf eine akademische Laufbahn gehofft.“
„Es kommt eben meistens anders als man denkt. Wie sind seine Chancen?“
„Ich denke mal ganz gut. Zum einen hat er einen guten Abi-Durchschnitt und außerdem hab ich bei den Kollegen nachgefragt.“
„Nur nachgefragt?“
„Ja, wirklich. Ich will nicht, dass Julian wegen mir bevorzugt wird.“
„Du meinst, die nehmen ihn wirklich, wenn sie wissen, wer sein Vater ist?“ Beide mussten lachen und Steinbrecher spendierte noch eine Runde.
Julia Will nahm die Würfel und blickte mürrisch auf das Spielbrett. Wie schaffte es ihre Oma nur immer, sie derart abzuzocken? Zwar bestimmten die Würfel durchaus einen Großteil des Spielausgangs, doch damit allein konnte es nicht Zusammenhängen, dass Annegret Will achtzig Prozent der Backgammonpartien gewann, die sie mit ihrer Enkelin austrug. Natürlich steckte auch ein gesundes Maß an Spielstrategie dahinter. Doch so sehr sich Julia in den vergangenen Jahren auch angestrengt hatte, sie hatte das Geheimnis des Spiels bislang nicht lüften können. Zweifelsohne war sie besser geworden und hatte sich bestimmte Setzkombinationen eingeprägt. Auch musste sie längst die meisten Züge nicht mehr auszählen, sondern erkannte mit einem kurzen Blick, wohin die Steine zu setzen waren, letztlich war ihre Oma immer noch weitaus häufiger auf der Siegerstraße. Die Würfel klapperten im Becher. Die Kommissarin versuchte, sich auf den Klang zu konzentrieren. Ruckartig drehte sie den Würfelbecher, stellte ihn auf die Tischplatte und hob ihn langsam an. Wieder kein Pasch. Damit waren alle Hoffnungen dahin, diese Partie noch drehen zu können. Resigniert setzte sie die Steine.
„Ist nicht dein Tag, Kind“, sagte Annegret Will.
„Nicht wirklich.“ Höchstens noch zweimal würfeln, dann hatte ihre Oma gewonnen. „Lass uns aufhören. Ich habe sowieso keine Chance mehr.“
„Na gut. Noch eine Revanche?“
„Nein. Ich glaube, wir können heute noch tausend Mal Spielen und ich würde kein Spiel gewinnen. Lass uns lieber noch ein wenig quatschen.“
Annegret Will zog die Augenbraue nach oben, während sie die Spielsteine zusammenschob. Wenn ihre Enkelin quatschen wollte, dann konnte das nur zwei Dinge bedeuten: Entweder, sie hatte ernsthafte Probleme auf der Seele oder sie wollte ihren kriminalistischen Spürsinn zu Rate ziehen. In Anbetracht der beiden jüngsten Morde tippte sie auf Letzteres. Annegret Will hatte nie selbst bei der Polizei gearbeitet. Das wäre so ziemlich das Letzte, was ihr eingefallen wäre. Als alte Achtundsechzigerin hatte sie die meiste Zeit ihres Lebens auf der Seite des Aufstands und des Ungehorsams gestanden. Polizisten waren in ihren Augen lange Teil des Systems gewesen, das sie bekämpfte. Doch ihre Sicht auf die Polizei hatte sich ein wenig relativiert, seit sie die Arbeit ihrer Enkelin etwas näher begleitete. Schließlich war es nicht Julias Aufgabe, Demonstranten zu verkloppen, sondern knifflige Mordfälle zu lösen, und das hatte durchaus einen gewissen Reiz.
„Kennst du dich ein wenig mit Frankfurter Sagen aus?“
„Frankfurter Sagen?“ Annegret Will schaute überrascht. „Natürlich, aber seit wann interessierst du dich für so etwas?“
„Seit uns ein Irrer das
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