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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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kraß divergierende
Überzeugungen, gesteigertes Wissen über variable ökonomische Leistungen sowie
physische, physiologische und physiognomische Besonderheiten, alle diese Fakten
können (wie wir postulieren) mögliche neue Richtungen markieren, die unseres
Wissens von keinem der mit der Erforschung der Kriminalität im England des 19.
Jahrhunderts befaßten Wissenschaftler bisher ausreichend in Betracht gezogen
worden sind.
     
    «Gräßlich!» murmelte Morse. Vor
ein paar Jahren noch hätte er vermutlich überlegt, sich mit diesem
unverständlichen Wissenschaftskauderwelsch auseinanderzusetzen. Aber die Zeiten
waren nun vorbei. Einen Augenblick lang sann er darüber nach, was für ein Idiot
dieser Verleger doch sein mußte, um so ein pompöses Geschwafel überhaupt in Druck
gehen zu lassen, dann klappte er das Buch energisch zu, entschlossen, es nie
wieder zu öffnen.
    Wie sich herausstellen sollte,
war dieser Entschluß nur von kurzer Dauer, doch jetzt und hier lockte ihn eine
wesentlich verführerischere Lektüre: der Softporno, den Lewis ihm — dem Himmel
sei Dank! — hereingeschmuggelt hatte.
    Ein gelber Blitz quer über das
Hochglanz-Titelbild versprach dem Leser verzehrende Lust und wilde
Sinnlichkeit, ein Anspruch, der noch untermauert wurde durch das Foto der
vollbusigen Schönheit, die sich, bis auf eine Perlenkette vollständig nackt,
wollüstig an den Gestaden irgendeiner fernen Südseeinsel räkelte. Morse schlug
das Buch auf und las genüßlich die erste Seite. Das war doch einmal guter Stil!
Klar und eindeutig, lief es dem Soziologen-Kauderwelsch seiner Meinung nach
glatt den Rang ab.
     
    Sie
tauchte aus dem Pool auf und begann langsam ihre nasse Bluse, die ihre
aufregenden Kurven mehr enthüllte als verbarg, aufzuknöpfen. Die jungen Männer
am Rand des Pools verstummten alle gleichzeitig wie auf Befehl und baten sie in
stummem Chor — flehten sie geradezu an sie möge sich vollständig ausziehen —
und schnell. Wie gebannt folgten sie den schlanken Fingern, als sie mit
geradezu quälender Langsamkeit einen weiteren Knopf öffneten...
     
    Scharfes Zeug! Befriedigt
lächelnd lehnte Morse sich in die Kissen zurück. Morgen würde er keine
Langeweile haben, soviel war sicher. Der Buchdeckel ließ sich leicht
zurückbiegen, und er würde sich beim Lesen darum bemühen, die Miene eines
ernsthaften Theologiestudenten anzunehmen, der sich in das Studium der kleinen
Propheten vertieft hat. Dies würde ihm, hoffte er, nicht allzu schwer fallen —
darin hatte er Übung. Er packte das Blaue Billett zurück in den
Nachttisch.

Kapitel 6
     
    Ich
genieße die Rekonvaleszenz. Es ist der Teil, um dessentwillen sich die
Krankheit lohnt.
     
    G.
B. Shaw, Zurück zu Methusalem
     
     
    Um zwei Uhr nachts geschah, was
er die ganze Zeit gefürchtet hatte, doch gelang es ihm glücklicherweise noch
rechtzeitig, die Aufmerksamkeit der Nachtschwester auf sich zu lenken. Sie zog
geräuschvoll die Vorhänge um sein Bett zu, und Morse rutschte vor Scham ein
Stück tiefer unter die Bettdecke: Der Lärm würde noch die ganze Station
aufwecken. Doch seine Mitpatienten hatten offenbar alle einen festen Schlaf,
und die junge Schwester erlöste, wie sich herausstellen sollte, Morse aus
seiner Bedrängnis ohne viel Aufhebens.
    «Ich weiß nicht einmal, wie
herum man das Ding hält», gestand ihr Morse flüsternd.
    Sachlich, ganz ohne
Verlegenheit, hatte Eileen (so war ihr Name) es ihm erklärt. Sie gab ihm noch
eine Rolle Toilettenpapier, dann verließ sie ihn mit dem Versprechen, in zehn
Minuten wieder nach ihm zu sehen.
    Es war alles schneller vorbei,
als er gedacht hatte. Eine Schüssel mit warmem Wasser sowie ein kurzer Druck
auf den Sprühknopf eines Luftreinigers — und schon waren auch die letzten
peinlichen Spuren beseitigt. Puh! Es war alles nur halb so schlimm gewesen, das
hatte er diesem himmlischen Geschöpf Eileen zu verdanken, und als er ihr
erleichtert zulächelte, meinte er in ihren Augen einen Moment lang etwas zu
sehen, was über bloß professionelle Freundlichkeit hinausging. So etwas dachte
er des öfteren, er gehörte zu jener Sorte Männer, für die derartige Phantasien
lebenswichtig sind. Bevor er wieder einschlief, versuchte er, sich noch einmal
ihr Aussehen ins Gedächtnis zu rufen. Ungefähr einen Meter dreiundsiebzig —
ziemlich groß eigentlich — , Mitte Zwanzig, grünbraune Augen, ein apartes
Gesicht mit hohen Wangenknochen, kein Ring. Und wie adrett und kompetent sie
wirkte in ihrer weißen

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