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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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— internationaler Schmuggel oder Industriespionage — hatte die
kleine Gemeinde bisher verschont. Sogar Verkehrsunfälle waren hier eine
Seltenheit, das lag allerdings vor allem an der geringen Zahl der Autos und
weniger an dem Können der Fahrer, die manchmal auch alkoholisiert am Steuer
saßen. Es gab, vor allem im Sommer, natürlich jede Menge betuchter Touristen in
Rovers oder BMWs, doch die Fahrer waren erstaunlich friedlich, hielten meistens
Ausschau nach einem etwa noch vorhandenen Esel, den man fotografieren konnte,
und stellten ansonsten weiter keine Bedrohung dar.
    Als Mulvaney den Lancia auf dem
Extraplatz für Besucher sah, wußte er sofort, daß dies nur der englische
Polizeibeamte sein konnte, der gestern bei ihm angerufen und gebeten hatte, daß
man ihm helfen möge, einen bestimmten Friedhof ausfindig zu machen. Warum er
den Friedhof finden wollte, hatte er nicht gesagt, aber gemeint, daß sich die
gesuchte Begräbnisstätte wahrscheinlich oberhalb von Bertnaghboy Bay befinde,
da das der einzige Friedhof sei, den er auf der örtlichen Karte eingezeichnet
gefunden habe. Mulvaney hatte dem Chief Inspector erklärt, daß es in der Tat
nur diesen einen Friedhof, auf einer kleinen Anhöhe westlich der Stadt gelegen,
gebe.
    Vom Fenster aus beobachtete
Mulvaney, wie Morse näher kam. Es passierte schließlich nicht jeden Tag (auch
nicht jede Woche oder jeden Monat), daß die englische Polizei Kontakt aufnahm
zur Garda, und der Mann, der jetzt den Eingang betrat, sah interessant aus:
Mitte Fünfzig, weißgraues Haar, das allmählich dünn wurde, ein bißchen
übergewichtig und offenbar, wenn gewisse Anzeichen nicht trogen, dem Alkohol
nicht ganz abgeneigt. Mulvaney gefiel, was er sah.
    «Sind Sie mit Kiplings Mulvaney
verwandt?» war Morses erste Frage, als sich die beiden Männer gegenüberstanden.
    «Gute Frage, aber leider, nein,
Sor! Übrigens — Bildung ist eine feine Sache!»
    Morse erklärte, welch
unwahrscheinliche, lächerliche Motive ihn hierhergeführt hätten, und hatte
Mulvaney sofort für sich gewonnen. Eine offizielle Erlaubnis für eine
Exhumierung würde er natürlich nicht bekommen, aber vielleicht sollte er,
Mulvaney, Morse erst einmal erläutern, was es mit dem Schaufeln von Gräbern in
der Republik so auf sich hatte. Also, erstens, durfte ein Grab unter keinen
Umständen an einem Montag ausgehoben werden, und zwar aus sehr einleuchtenden
Gründen, die er leider inzwischen vergessen habe, aber heute war ja auch nicht
Montag, oder? Wenn aber, zweitens, ein Grab doch an einem Montag gegraben
werden mußte, dann hatte dies unter allen Umständen — unbedingt, Sor! —
am Montag morgen zu geschehen, oder besser noch am Abend zuvor. Dann war
da noch ein wichtiger Punkt in bezug auf die benutzten Haken und Schaufeln: Sie
mußten über das offene Grab gelegt werden, und zwar in Form eines Kreuzes, aus
Gründen, die man Morse, als einem Mann von Bildung, wohl nicht näher zu
erklären brauchte. Und drittens war es schließlich guter Brauch, daß der
Hauptleidtragende den übrigen Mitgliedern der Trauerfamilie am Grab einen
irischen Whisky spendierte, und natürlich auch den Totengräbern, die sich mit
der schweren, klumpigen Erde herumgeschlagen hatten. «Diese Erdarbeiten machen
nämlich immer sehr durstig, Sor.»
    Und so begab sich Morse, der
schnell begriffen hatte, daß ihm die Rolle eben dieses Hauptleidtragenden
zugefallen war, auf die High Street und erstand dort drei Flaschen Malzwhisky.
Mulvaney und er hatten, ohne die Sache direkt anzusprechen, ein Einvernehmen
erzielt, und welche Probleme die Donavan-Franks-Gleichung ihm auch noch
bereiten sollte, die Seite vor dem Gleichheitszeichen würde (wenn dies
überhaupt möglich war) mit der inoffiziellen und tatkräftigen Hilfe der
irischen Garda gelöst werden. Während Morse, die Flaschen unter dem Arm, den
Rückweg antrat, sah er vor seinem inneren Auge die Szenerie: eine Reihe von
Scheinwerfern, die das gut markierte Grab hell ausleuchteten, Absperrgitter,
ein halbes Dutzend Constables, um die Schaulustigen fernzuhalten, und in
einiger Entfernung, aber so nah wie möglich, eine Horde Pressefotografen, die
ihre Teleobjektive auf die Stätte des sensationellen Geschehens gerichtet
hielten. Und die Zeit? Fünf Uhr dreißig — die übliche Zeit für Exhumierungen.
Erwartungsvolle Spannung. Doch die Realität sah dann ganz anders aus.
    Morse und Mulvaney zusammen
gelang es ziemlich schnell, die letzte Heimstatt des «Kaisers

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