Mord am Oxford-Kanal
dieselbe Summe
eingestrichen hatte...
Am späten Vormittag verließ
Morse das Haus, um zur Post zu gehen. Er ging die Banbury Road hinunter und
wandte sich dann nach rechts in die Squitchey Lane, die zweite Straße links bog
er ab und schritt, vorbei an der früheren evangelischen Kirche (die umgebaut
worden war und jetzt mehrere Wohnungen beherbergte), den Middle Way hinunter.
Es war ein trüber, naßkalter Morgen und sehr ruhig. Nur ein paar Krähen hockten
verfroren in einem Baum und krächzten laut — vermutlich hatten sie sich in der
Tageszeit geirrt. Es war niemand unterwegs, den er kannte. Er passierte die
Bishop Kirk Middle School und betrachtete mit Wohlgefallen die hübschen
Reihenhäuser rechts und links der Straße mit ihren weißgestrichenen
Erkerfenstern. Links von ihm war jetzt Dudley Court, eine aus zimtfarbenen
Ziegeln erbaute Wohnsiedlung, die auf dem früheren Gelände des Friedhofs der
Gemeinde Summertown erbaut worden war. Man hatte in der Siedlung schon einen
Weihnachtsbaum aufgestellt, die bunten Glühlampen leuchteten, obwohl es noch hell
war. Sein Weg führte ihn vorbei an dem Versammlungshaus der Nordoxford er
Konservativen, einem Gebäude, das er nie betreten hatte (und nie betreten
würde), dann kam er vorbei an der Kirche einer Pfingstgemeinde, die er — bis
jetzt — auch noch nie betreten hatte, und erreichte schließlich das niedrige
Gebäude des Women’s Institute, wo er vor einiger Zeit einen Vortrag gehalten
hatte über die mannigfachen Vorteile des Nachbarschafts-Wach-Systems.
Schließlich bog er links ab in die South Parade. Hier war auch die Post, wo er
einmal jährlich die Straßensteuer für seinen Lancia entrichten mußte. Er
steckte seinen Brief in den Kasten und überquerte die Straße. Die ganze Zeit
hatte er darüber nachgedacht, und nun war er entschlossen: Wenn sich schon über
Joanna Franks nichts mehr herausbringen ließ, dann doch vielleicht über ihren
Kompüzen, Donavan. Außerdem brauchte er dringend Erholung, und die würde er
sich jetzt verschaffen.
Er betrat das kleine Reisebüro
und wurde von dem jungen Mädchen hinter dem Schreibtisch mit einem strahlenden
Lächeln begrüßt.
«Was kann ich für Sie tun,
Sir?»
«Also, ich möchte einen Urlaub
buchen (er setzte sich erst einmal), mit dem Wagen, in Irland... in der
Republik, meine ich.»
Am Nachmittag desselben Tages
stattete Morse der Wüliam Dunn School of Pathology in der South Parks Road
einen Besuch ab.
«Sieh dir die doch bitte mal
an, ja?»
Max sah Morse über seine Brille
hinweg etwas skeptisch an, enthielt sich aber des sonst bei ihm üblichen
zynischen Kommentars.
«Max, alles, was ich wissen
will, ist...»
«...ob sie von Max
& Spencer oder von Littlewoods stammen, nehme ich an?»
«Der Riß, Max, der Riß !»
«Riß? Was für ein Riß?» Max hob
den Schlüpfer mit spitzen Fingern auf und wendete ihn prüfend hin und her. «Ich
sehe keinen Riß, Morse. Nicht das kleinste Anzeichen für eine irreguläre
Überdehnung des Gewebes — das ist Baumwolle, oder?»
«Ich glaube, ja.»
«Was wir hier vor uns haben,
ist ein Schnitt. Wir brauchen nicht einmal ein Mikroskop, um das
festzustellen — ein sauberer, präziser, gerader Schnitt. Zufrieden?»
«Mit einem Messer?»
«Mit was schneidest du denn
gewöhnlich?»
«Mit einem Käsehobel oder
vielleicht einer Schere?»
«Was für wundersame Blüten doch
die menschliche Phantasie bisweilen treibt.»
Für Morse war es eher wundersam,
daß er auf seine Frage so eine eindeutige Antwort erhalten hatte — übrigens das
erste Mal während der langen Jahre ihres doch recht freundschaftlichen Umgangs
miteinander.
Kapitel 34
Häuf
keine Rosen auf ihr Grab
Sie
liebte sie so sehr Warum sie dadurch verwirren
Da
sie sie nicht sehen kann.
Edna
St. Vincent Millay, Epitaph
Inspector Mulvaney entdeckte
ihn gleich, als er seinen Lancia auf dem Parkplatz unter dem Schild «Nur für
Besucher» einparkte. Als die kleine Wache in dem zweistöckigen Haus vor zehn
Jahren in ein Dezernat für Verbrechensbekämpfung umgewandelt worden war, hatte
die Garda es für notwendig befunden, daß die vier Polizeibeamten einem
Inspektor unterstellt werden sollten. Im nachhinein gesehen war diese Maßnahme
vielleicht doch etwas vorschnell gewesen. Kilkearnan mit seinen rund tausend
Einwohnern hatte seine übliche Rate an Schlägereien, die meistens im Umkreis
von einem der mehr als vierzehn Pubs entstanden, doch das organisierte
Verbrechen
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