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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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zeitgenössischen Quellen — als eher klein
angesehen worden war. Aber was bedeutete «klein» in bezug auf eine Frau im 19.
Jahrhundert?
    Nachdem Lewis gegangen war,
machte Morse einen Anruf.
    «Was war die durchschnittliche
Größe einer Frau im 19. Jahrhundert?»
    «Anfang oder Ende?»
    «Mitte.»
    «Interessante Frage!»
    «Nun?»
    «Ich vermute mal, verschieden.»
    «Nun komm schon!»
    «Wenig zu essen, Proteinmangel
— und so weiter und so weiter —, nicht sehr groß, nach heutigen Maßstäben,
würde ich sagen. Jedenfalls bestimmt nicht größer als die Opfer des Rippers um
1880: vier Fuß neun Inches, vier Fuß zehn Inches, vier Fuß elf Inches 7 — so um den Dreh. Ich
weiß allerdings auch von einer Ausnahme. Sie hieß, glaube ich, Stride, Liz
Stride. Sie wurde die «lange Liz» genannt, weil sie die anderen Frauen im
Arbeitshaus um etliches, um Haupteslänge überragte. Kannst du mir noch folgen,
Morse?»
    «Und wie groß war sie — die

    «Keine Ahnung.»
    «Kannst du es rauskriegen?»
    «Was — jetzt?»
    «Und mich dann gleich
zurückrufen?»
    «Den Teufel werd ich tun.»
    «Danke!»
    Morse hatte gerade zwei, drei
Minuten dem Liebesduett aus dem ersten Akt der «Walküre» gelauscht, als das
Telefon klingelte.
    «Morse? Fünf Fuß drei Inches * .»
    Morse pfiff leise durch die
Zähne.
    «Ist was?»
    «Vielen Dank, Max. Bist du
übrigens morgen den ganzen Tag im Labor zu erreichen? Ich möchte dir etwas
zeigen.»
    Die zierliche, attraktive
Erscheinung war also sogar noch dreiviertel Inches größer gewesen als Liz
Stride, die unter ihresgleichen wegen ihrer Länge aufgefallen war. Da
sieh mal einer an. Alle Fakten, die bis jetzt aufgetaucht waren (und es waren
wenig genug!), schienen ganz eindeutig Morses These zu stützen. Und trotzdem
sah es ganz so aus, als ob sich die Wahrheit nie würde beweisen lassen. Morse
fand das zum Aus-der-Haut-Fahren.

Kapitel 33
     
    Plündernde
Rohlinge erschossen die klagende Eule;
    Es
schweigt der Turm unter wolkenverhangenem Mond;
    Doch
Lady Porter, seit kurzem auf der Jagd nach Männern
    Wird
bald schon den Besitz um Pfennige verschleudern
     
    E.
O. Parrot, The Spectator
     
     
    Der Brief von seiner
Versicherung enthielt die dritte und letzte Mahnung für die Prämie, die er
letzten Monat hätte zahlen müssen. Und so setzte sich Morse am nächsten Morgen
gleich hin, schrieb einen Scheck aus und formulierte ein kurzes Entschuldigungsschreiben.
Er hatte wenig Ahnung von finanziellen Dingen, aber vor ungefähr zwölf Jahren
war es ihm als Ausdruck verantwortungsvollen Handelns erschienen, eine
monatliche Summe von 55 Pfund für eine Versicherung zu bezahlen, um im Alter
von sechzig Jahren in den Genuß von zwölftausend Pfund plus Zinsen zu kommen —
dieser Zeitpunkt war jetzt gar nicht mehr so weit entfernt. Er hatte nie
darüber nachgedacht, was eigentlich mit dem Geld geschehen würde, falls er
starb, bevor die Summe fällig war, und im Grunde war es ihm auch ziemlich
gleichgültig. Er hatte keine finanziellen Probleme: Es gab niemanden, den er
unterstützte, er hatte ein gutes Gehalt, und seine Hypothek würde in zwei
Jahren abbezahlt sein. Er wußte sehr genau, o ja!, daß er, verglichen mit der Mehrzahl
der Menschen, sich, was seine materielle Versorgung betraf, glücklich schätzen
durfte. Vielleicht würde es jetzt allmählich auch einmal Zeit, daran zu denken,
ein Testament zu schreiben...
    Ihm fiel sein Gespräch mit
Lewis von gestern abend wieder ein. Da war auch von Versicherungen, oder
genauer gesagt, von Versicherungsbetrug die Rede gewesen. Wenn er ehrlich war,
mußte er zugeben, daß das meiste, was er gesagt hatte, reine Spekulation
gewesen war. Aber durchaus nicht unwahrscheinlich, oder? Er suchte sich die
Fotokopie aus dem «Führer durch das Versicherungswesen», die ersten Unterlagen,
die Christine ihm ins Krankenhaus gebracht hatte, heraus und studierte noch
einmal die Tabellen der Nottinghamshire and Midlands Friendly Society für das
Jahr 1859.
    Joanna war 1821 geboren, das
heißt, sie war im Jahr 1859 achtunddreißig Jahre alt. Wenn sie die Versicherung
zwei Jahre zuvor abgeschlossen hatte, wäre ihr Alter beim nächsten Geburtstag
sechsunddreißig Jahre gewesen, und die von ihr jährlich zu zahlende Prämie
hätte sich auf drei Pfund, acht Shilling und neun Pence belaufen. Bei einem
Einsatz von unter sieben Pfund hatte sie so einen Gewinn von hundert Pfund
gemacht. Nicht schlecht, zumal sie für Donavans Tod auch schon

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