Mord am Vesuv
ich. »So eine Rede ist doch durch und durch stilisiert und besteht nur aus immer wiederkehrenden Floskeln. Ich selbst habe schon für die miesesten, widerwärtigsten Schufte Bestattungsreden gehalten und sie als würdige Begleiter der Götter dargestellt.«
Sie lachte, und ich muss sagen, sie hatte ein schönes Lachen, das zudem den appetitlichen Teil ihres Körpers, den sie mir so freizügig zur Schau stellte, kräftig durchschüttelte. »Wie dem auch sei«, sagte sie schließlich, »das Mädchen war … ich will ja nicht schlecht über die Verstorbenen sprechen und ihren rachsüchtigen Geist beschwören«, bei diesen Worten schüttete sie als Sühne ein wenig Wein auf den Boden, »aber diese junge Frau hat ziemlich gerne die Beine breit gemacht.«
»Na und?«, entgegnete ich. »Wenn sie sich freiwillig mit Männern eingelassen hat, ist das vielleicht Anlass für einen handfesten Familienkrach, aber doch keine Sache, die einen ranghohen Gerichtsbeamten etwas angeht.«
»Und wenn Verrat im Spiel ist?«
»Verrat?«, hakte ich misstrauisch nach. Zu jener Zeit war »Verrat« ein dehnbarer Begriff. Wo so viele Männer und ihre Anhänger mit allen Finessen um die Macht kämpften, neigte jeder dazu, den Begriff in seinem Sinne auszulegen. Heutzutage gilt alles als Verrat, was dem Ersten Bürger nicht in den Kram passt.
»Genau«, bestätigte sie, »Verrat. Wir intrigieren hier zwar nicht wie ihr in Rom, aber wie das Geschäft funktioniert, weiß man auch bei uns ziemlich genau. Kampanien und die Gegenden weiter südlich sind altes pom-peianisches Territorium. Hier leben sehr viele Klienten von Pompeius.«
»Damit erzählst du mir wahrlich nichts Neues.«
»Über kurz oder lang wird es zwischen Caesar und Pompeius zur Entscheidungsschlacht kommen«, fuhr sie unbeirrt fort.
Ich schloss resigniert die Augen. Schließlich und endlich fielen nun also auch hier die beiden Namen. Dabei hatte ich gehofft, von all dem weit weg zu sein. »Diese Namen sind mir durchaus geläufig. Allerdings kann ich mir schwerlich vorstellen, dass sich irgendjemand zugunsten des einen oder anderen zu einem Verrat hinreißen lassen würde.«
»Wenn ausländische Mächte im Spiel sind, schon.« Vielleicht sollte ich an dieser Stelle etwas erklären. Unser Klientensystem, dieses komplizierte Geflecht gegenseitiger Bindungen und Abhängigkeiten, das selbst Männer aus unterschiedlichen Familien einander auf das Ergebenste verpflichtet, war seit jeher einer der Grundpfeiler unserer Gesellschaft und ist es auch heute noch. Doch in meinen jüngeren Tagen hatte es eine noch größere Bedeutung als heute. Bürgerliche Klienten waren dazu verpflichtet, bei Wahlen für ihren Patron zu stimmen, und Klienten, die keine Bürger waren, schuldeten ihrem Patron alle möglichen Dienste. Daher war jeder, der es in der Politik zu etwas bringen wollte, darauf bedacht, seine Klientenschaft mit allen nur erdenklichen Mitteln zu vergrößern. Bedeutende Männer hatten oft Millionen von Klienten, manchmal umfasste ihre Klientenschaft sogar sämtliche Bewohner einer bestimmten Region. Das sicherte ihnen für den Fall, dass sie eine Legion ausheben wollten, ein großes Reservoir an treu ergebenen Männern. Politiker wie Caesar und Pompeius zählten sogar ausländische Könige zu ihren Klienten und hatten sich damit ganze Königreiche als Gefolgschaft verpflichtet. Es muss wohl nicht extra erwähnt werden, dass der Erste Bürger, mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet, diesem Treiben ein Ende bereitet hat.
Ein weiteres Mal verharrte mein Weinbecher auf halbem Wege in der Luft. »Bevor wir fortfahren«, stellte ich klar, »hätte ich gerne gewusst, woher du überhaupt weißt, was diese Männer im Schilde führen.« Meiner Erfahrung nach schlossen Männer ihre Frauen in der Regel weitestgehend von ihrem politischen Leben aus. Natürlich gab es auch Ausnahmen. Ciodia zum Beispiel, oder meine eigene Frau, Julia.
»Das Geschäft meines Mannes zwingt ihn oft, sich für längere Zeit außerhalb Italias aufzuhalten«, erwiderte sie. »Während dieser Zeit kümmere ich mich hier um seine Angelegenheiten.
Ob sie wollen oder nicht - die Männer, von denen die Rede ist, haben ständig mit mir zu tun.«
Diese Antwort stellte mich keineswegs zufrieden, doch ich ließ sie fortfahren.
»Auf diese Weise bekomme ich sofort mit, wer von ihnen in finanziellen Schwierigkeiten steckt, und wenn einem das Geld ausgegangen ist, trifft es normalerweise gleich alle. Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher