Mord am Vesuv
versuchen sie, ihre Notlage vor mir und vor allen anderen zu verbergen. Aber ihre geschäftlichen Aktivitäten verändern sich, und sie treffen sich heimlich. Ihre verborgenen Zusammenkünfte finden immer am selben Ort statt: im Tempel des Apollo.«
»Den Einblick in ihre Machenschaften verdankst du doch nicht nur der Beobachtung ihrer geschäftlichen Aktivitäten«, vermutete ich. »Woher also hast du deine Erkenntnisse?«
»Ich beschaffe sie mir auf die übliche Art und Weise«, erwiderte sie. »Ich habe in ihren Häusern Spione auf sie angesetzt.«
Mir fiel die unglückselige Charmian ein, die mit ihrem zerschundenen Rücken einsam im ergastulum litt. Am liebster hätte ich Jocasta damit überrascht, dass ich von Charmian wusste, aber es ist immer klüger, nicht preiszugeben, wie viel man selber weiß.
»Und was haben dir deine Spione berichtet?«, fragte ich daher.
»Dass sich die duumviri und ein paar andere Männer regelmäßig mit dem Priester getroffen haben, um über eine mögliche Abspaltung der ehemaligen griechischen Kolonien Süditalias zu beratschlagen, also von Baiae, Cumae, Stabiae, Tarentum, Messina und noch einigen anderen Orten. Kurz nach diesen Treffen waren die finanziellen Schwierigkeiten all dieser Männer behoben.«
»Mit wessen Geld?«, hakte ich nach.
»Wer würde vom Niedergang Roms profitieren? Da gibt es sicher reichlich Kandidaten, aber am ehesten kämen wohl die verbliebenen unabhängigen griechischen Staaten in Frage, meinst du nicht auch? Mazedonien zum Beispiel ist immer sehr widerspenstig und Rom äußerst feindselig gesonnen.«
»Mazedonien ist bettelarm«.
»Rhodos ist es nicht. Im Gegenteil: Die Insel ist reich, mächtig und, wenn auch eingeschränkt, unabhängig. Auch Ptolemaios hat sich immer noch nicht damit abgefunden, unter der Knute Roms zu stehen, und könnte von wirklicher Unabhängigkeit träumen, statt nur eine Marionette Roms zu sein. Und Alexandria ist eine griechische Stadt. Sie alle könnten im Ausbruch eines Bürgerkrieges ihre letzte Hoffnung sehen, und wenn sie sich zusammentäten, würden sie genügend Bestechungsgelder zusammenbringen, um in den erniedrigten Städten einflussreiche Anhänger um sich zu scharen.«
»Und du meinst, der Priester spielt ihren Mittelsmann?«, fragte ich.
Sie antwortete nicht und schob sich stattdessen eine dicke Kirsche in den Mund, die sie zuvor in Honig getunkt hatte.
Kirschen waren damals gerade schwer in Mode. Lucullus hatte ein paar Jahre zuvor die ersten Kirschbäume nach Italia eingeführt; sie waren Teil seiner Kriegsbeute, die er von seinem Feldzug im Osten mitgebracht hatte. Er hatte eine riesige Kirschplantage angelegt und den italischen Bauern in einem Akt der von Julia erwähnten euergesia Ableger und Setzlinge zum Selbstkostenpreis überlassen. All die neu gepflanzten Bäume trugen gerade ihre ersten Früchte, und so aß man überall und zu jeder Gelegenheit Kirschen.
»Und welche Rolle hat das Mädchen in dieser Geschichte gespielt?«, wollte ich wissen.
»Wie ich dir ja bereits sagte, hat sie zur Freude der örtlichen männlichen Bevölkerung für jedermann gerne die Beine breit gemacht, und wie es scheint, hatte sie die Angewohnheit, im Taumel der Leidenschaft alles Mögliche auszuquatschen. Ich glaube zwar nicht, dass der Priester deshalb seine eigene Tochter umgebracht hat, aber jedem anderen traue ich das ohne weiteres zu.«
Ich stellte meinen Becher ab. »Wir leben nicht mehr in den Tagen Sullas, liebe Jocasta. Es reicht heutzutage nicht mehr aus, einen prominenten Bürger irgendeiner Tat zu bezichtigen, damit er hingerichtet wird und man einen Teil seines Besitzes einstreichen kann.«
»Du verstehst mich offenbar falsch, Praetor«, entgegnete sie mit einem hinreißenden Lächeln. »Ich will lediglich Schaden vom Senat und dem Volke Roms abwenden.«
»Na, wenn das mal stimmt! Und welche Rolle spielt dein Mann in dieser Geschichte?«
»Überhaupt keine. Schließlich ist er kein Grieche, sondern Numider.«
»Aber du bist Griechin«, stellte ich fest.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin eine Frau. Ich kann an keiner Wahl teilnehmen, geschweige denn irgendein Amt ausüben, ich darf ja nicht einmal zu einer öffentlichen Angelegenheit meine Meinung sagen. Was spielt es also für eine Rolle, ob ich Griechin, Römerin oder Numide-rin bin?«
»Auf der Grundlage dessen, was du mir erzählt hast, kann ich niemanden vor Gericht bringen«, erklärte ich.
»Wer hat denn davon gesprochen, jemanden
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