Mord am Vesuv
dessen Geschäfte gekümmert.
Falls ihr Mann diesen geheimnisvollen Partner auch vor ihr verborgen hat, will sie vielleicht nicht, dass dies jeder erfährt, und hat deshalb jemanden erfunden, der so weit entfernt wohnt, dass man ihre Angabe nicht so schnell überprüfen kann. Bis die Lüge auffliegt, ist die ganze Sache, wie ihr ja selber sagt, ohnehin auf die eine oder andere Weise erledigt.« Sie schob sich eine in Honig getunkte Kirsche in den Mund, kaute sie genüsslich und spuckte den Kern aus. »Oder zweitens, sie kennt den Mann zwar, aber die beiden haben aus irgendeinem Grund vereinbart, seine Identität vorerst geheim zu halten.«
»Warum sollten sie so etwas vereinbaren?«, fragte ich, durchaus fasziniert von diesem Gedankengang.
»Das dürfte dir wahrscheinlich erst klar werden, wenn du das Testament kennst«, erwiderte sie. »Wenn ich richtig liege, enthält es eine Bestimmung, von der sie beide einen Vorteil haben und die erst in Kraft tritt, wenn Gelon nicht mehr im Weg ist.«
»Ich bin richtig froh, dass wir dich mitgenommen haben«, sagte ich an sie gewandt. Was hinterlistige, betrügerische Absichten angeht, verfügte sie über eine natürliche Intuition. Sie war eben eine typische Antonierin. Ihr Bruder, der künftige Triumvir Marcus Antonius, war noch der anständigste Mensch, den seine Familie je hervorgebracht hatte, und selbst er war einer der schlimmsten Gauner auf der ganzen Welt.
»Wo ist das Testament überhaupt?«, fragte Julia. »Und warum hat es nicht längst jemand gelesen?«
»Es ist in Cumae im Tempel der Juno der Beschützerin hinterlegt«, informierte Hermes sie. »Das ist in dieser Gegend so üblich. Solange der Sohn des Verstorbenen in Gewahrsam ist, wird es nicht freigegeben, aber der Praetor kann es für den Prozess als Beweisstück anfordern.«
»Dann sorg dafür, dass es uns ausgehändigt wird«, wies ich ihn an. »Ich möchte gerne einen Blick darauf werfen.«
»Die Zeit drängt«, sagte Julia. »In weniger als zehn Tagen müssen wir zu den angesetzten Gerichtstagen nach Bruttium aufbrechen. Du kannst den Prozess gegen Gelon nicht länger hinauszögern.«
»Der Rat der Stadt hat uns darüber in Kenntnis gesetzt, dass morgen ein Feiertag ist und dementsprechend alle öffentlichen Geschäfte verboten sind«, teilte Hermes uns mit. »Übermorgen ist Gerichtstag, und am folgenden Tag musst du in Stabiae Gericht halten. Für den Prozess gegen Gelon kommt also nur übermorgen in Frage.«
»Wenigstens ist damit klar, wann wo welche Verfahren stattfinden«, stellte ich fest. »Dann setzen wir den ganzen Tag für den Prozess gegen Gelon an. Weiß man schon, wen Diocles als Ankläger beauftragt hat?«
»Einen Bürger namens Vibianus. Er hat bei Sulpicius Galba Rechtswissenschaften studiert und schon eine Reihe bedeutende Fälle gewonnen.«
»Und wer verteidigt Gelon?«, fragte Julia. »Vermutlich hat sein Vater ja nicht mehr lange genug gelebt, um ihm einen Anwalt zu besorgen.«
»Wie es scheint, muss ich selber einen aussuchen«, erwiderte ich. »Wie war's zum Beispiel mit dir, Marcus? Ein bisschen Praxis vor Gericht täte dir ganz gut.«
»Kommt gar nicht in Frage!«, protestierte Julia. »Ein Gefolgsmann des Praetors Peregrinus als Prozessbeteiligter - das würde das ganze Verfahren in ein schlechtes Licht setzen.«
»Warum?«, entgegnete Circe. »Das passiert in Rom doch alle Tage. Im vergangenen Jahr erst habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie ein Clau-dier einen anderen Claudier angeklagt hat, der von einem dritten Claudier verteidigt wurde, und ein vierter saß dem Gericht als Praetor vor.«
»Rom ist sowieso ein hoffnungsloser Fall«, entgegnete Julia.
»Aber wir sollten uns wenigstens bemühen, für die Munizipien und die Provinzen ein gutes Beispiel zu geben.«
»Du hast Recht«, stimmte ich ihr zu. »Schade, dass Cicero den Fall nicht übernehmen will.«
»Was ist denn mit seinem Bruder?«, schlug Marcus vor.
»Der macht nur, was Cicero ihm sagt«, gab Hermes zu bedenken. »Aber wie wäre es mit Tiro? Immerhin ist er inzwischen ein Freigelassener und genießt die vollen Bürgerrechte, also darf er vor Gericht auftreten. Und als Freigelassener empfindet er es bestimmt nicht als Schande, den Sohn eines Sklavenhändlers zu verteidigen. Er war lange genug Ciceros Privatsekretär, um bestens mit dem römischen Recht vertraut zu sein. Nicht zuletzt könnte Cicero ihm während des Prozesses zur Seite stehen.«
»Eine hervorragende Idee!«, lobte ich ihn. »Ich
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